27.11.1996

Der alltägliche Positivismus: Eines der wichtigsten Mittel, mit deren Hilfe der Positivismus sich in der Realität verankert, ist das Geschwätz (das auf dem Bauche kriecht und Staub frißt). Aufgabe des Geschwätzes ist es, durch Schuldverschiebung (Konkretismus und Personalisierung) die am Geschwätz Teilnehmenden von Schuld zu entlasten, die Reflexion durch positivistisches Beharren auf den Tatsachen (die es nicht an sich, sondern vor allem für den Redenden sein müssen), auf der intentio recta, zu unterdrücken und zu verdrängen. Geschwätz zielt auf Komplizenschaft: den andern in diesem Schuldverschubsystem auf seine Seite zu ziehen; deshalb braucht das Geschwätz gemeinsame Objekte des Geschwätzes, Objekte, die alle am Geschwätz Beteiligten gemeinsam entlastet, im Ernstfall den gemeinsamen Feind. Das Geschwätz kennt nur die Sprache des Indikativs, die eigentlich eine Sprache des versteckten Imperativs ist: Die Botschaften, die von dieser Sprache ausgehen, sind Kommandos, die jeden, der sie akzeptiert, an der Befehlsgewalt teilhaben lassen, in die Logik des Herrendenkens hineinziehen. Es kommt darauf an, die objektivierende Gewalt des Geschwätzes so zu nutzen, daß man immer auf der Subjektseite, die oben ist, nie auf der Objektseite (der Seite der Schuld), die unten ist, sich wiederfindet. Mit der Verdrängung der Erinnerung an diese Objektseite des Geschwätzes aber wird die Reflexion unterdrückt und verdrängt: die Fähigkeit, in den Andern, über den geredet wird, sich hineinzuversetzen. Das Geschwätz kennt kein Ende, es wird immer abgebrochen, und es muß deshalb immer neu geübt, eintrainiert werden. Das zentrale Thema jedes Geschwätzes ist die Schlechtigkeit der Welt, die dann, weil sie keine Wahl läßt, anders gegen sie sich zu behaupten, zur Norm des eigenen Verhaltens wird (die absolute Norm ist die Norm, die das Feindbild repräsentiert?.
Der Positivismus macht die Wissenschaft zum Geschwätz; die 68er Bewegung hat den Marxismus zum Geschwätz gemacht (und beide haben ihre Kraft dann auch an der kritischen Theorie erprobt, die das nicht überlebt hat).
Die Unfähigkeit zur Reflexion hängt mit der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, zusammen, mit der Unfähigkeit, sich in den Andern hineinzuversetzen (vgl. die Konstruktion der hegelschen Dialektik, ihren Zusammenhang mit der Raum-Reflexion: An sich, Für sich, An und Für sich, ihren Zusammenhang mit der kabbalistischen Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind; Zusammenhang mit dem Angesicht und mit der Heiligung des göttlichen Namens).
Zum hegelschen „bacchantischen Taumel“ vgl. Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 187ff.
Die Verwaltung ist die technische Seite der Ökonomie, das Instrument und die Form der innergesellschaftlichen Naturbeherrschung.
Das Glaubensbekenntnis ist ein Fremd-Schuld-Bekenntnis (ein Schuldbekenntnis, dessen Subjekt der Andere, nicht der Bekennende ist), und es ist dazu geworden durch die Rezeption des Weltbegriffs, durch die Hereinnahme der Logik des Weltbegriffs.
Die Rechtschreibreform hat zumindest in dem einen Fall der Substantivierung der Adjektive („im Großen und Ganzen“) ein reflexives Element der Sprache neutralisiert und verdrängt. Gibt es dazu noch weitere Belege in dieser „Reform“? Ist das nicht ein Beispiel für die Anpassung der Sprache an den BILD-Zeitungsstil, in dem auf Nebensätze generell verzichtet wird, und der dadurch seine denunziatorische Qualität gewinnt?
Lassen sich die den Substantivierungen zugehörigen Objekte (das Große, das Ganze, das Böse, das Gute) bestimmen, haben sie nicht etwas mit der Logik der Xenophobie zu tun?
Die Großschreibung insgesamt ist ein Hilfsmittel der Staatsmetaphysik, eine Stütze der Staatsgesinnung: sie macht die Sprache der Staatsanwaltschaft verfügbar, sie macht sie zur Sprache eines Staates, der in sich selbst das anklagende Prinzip, dessen Anwalt der Staatsanwalt ist, repräsentiert.
Der bisherige adjektivische Gebrauch, der in der Kleinschreibung sich ausdrückte, ließ das Substantiv, auf das sie sich bezog, in der Schwebe. Die neue Schreibweise macht kurzen Prozeß.
Wurde nicht bei der neuen Regel, bisher zusammengeschriebene Verben jetzt getrennt zu schreiben (heiligsprechen > heilig sprechen) übersehen, daß damit der sprachlogische Sinn verändert wird, leistet sie nicht der Verwechslung des substantivischen Gebrauchs (Zusammenschreibung) mit dem adjektivischen (Getrenntschreibung) Vorschub (der Unfähigkeit, das eine vom andern zu unterscheiden)? Müßte es in der Konsequenz nicht auch Haus Besitzer heißen? Bemerkt hat man es bei Verben wie heimkehren, bei denen es bei der alten Schreibweise belassen wurde, weil hier die Bedeutungsverschiebung nicht zu übersehen war.
Räumliche Reflexionen: Züge, Fahrstühle und der plancksche Hohlraum haben wie auch Häuser Wände, sie sind gleichsam Objekte von innen (Grund der Unterscheidung von Innen und Außen). Haben nicht moderne Kirchen, auch gelegentlich moderne Wohnungen, die Außenseite der Wände nach innen gekehrt (Verwechslung des transzendentalen Subjekts mit Gott: das Innere, in das nur Gott sieht, ist wie die Außenwelt unerkennbar geworden)?
Sind nicht die Sternbilder des Tierkreises die Häuser der Astrologie?
Die mechanischen Stoßprozesse haben den Schwerpunkt als Reflexionspunkt, die ersten optischen Gesetze bezogen sich auf die Reflexion der Strahlen an einer Fläche (die Farbe ist eine Qualität der Fläche, der Außenseite eines Körpers: die Farbe der Haut ist die Farbe des Fleisches – welche Beziehung hatte das Purpur zur Fleischfarbe, und welche Bedeutung hatte dieses Purpur, das Handelsobjekt der Phönizier, der Kanaanäer?). Im planckschen Hohlraum werden die Strahlen an den umgebenden Wänden, die Atome an einander und an den Wänden reflektiert. Im Gravitationsgesetz reflektieren sich Gravitationskräfte an den schweren Körpern (an den schweren Massen).
Ist nicht das Angesicht der Kontrapunkt zum Schwerpunkt (zum Zentrum eines Inertialsystems)?
Spiel mit dem Feuer: Das plancksche Strahlungsgesetz bezeichnet den Angelpunkt, an dem Chemie, Atom- und Mikrophysik aufeinander sich beziehen: das Feuer (das spezielle Relativitätsprinzip definiert das Trägheitsprinzip, das allgemeine Relativitätsprinzip den Schwerpunkt: den Ursprungspunkt des Inertialsystems). Das Feuer ist das Antiinstrument (die Entdeckung des Werkzeugs und des Feuers gehören zusammen).
Mit der dies dominica, mit der Verlegung der Sabbatruhe vom Tag des Saturns auf den der Sonne (mit der Ersetzung der zeitlichen Definition der Ruhe durch eine räumliche: der zukünftigen Welt durch den räumlich präsenten Himmel), hat das Christentum das kopernikanische System antizipiert.
Ist die Kleptomanie, das Gegenstück sowohl zur Einbruchsfurcht als auch zur männlichen Aggression, nicht in erster Linie eine weibliche Neurose?
Ist aus dem Buch der Richter etwas über das Leben der Menschen in der Zeit der Richter zu entnehmen (Stadt und Land, Familie, wovon lebten die Menschen)?
Transzendentale Ästhetik: Ist nicht ein wesentliches Moment der Masken (Girard, S. 245ff) das Sehen ohne gesehen zu werden, eine Funktion, die in der Geschichte der Aufklärung durch das Konstrukt der Anschauung ersetzt worden ist? – „Die Maske und der monströse Doppelgänger sind eins“ (S: 246): Die subjektiven Formen der Anschauung, die der Person den Grund verschaffen, sind Produkte der Vergesellschaftung, Repräsentanten des Objekts: der Anderen und der Dinge im Subjekt.


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