Drücken sich in der Redensart „den Staub von den Schuhen schütteln“ (bei der Aussendung der Jünger Jesu) nicht die beiden Sachverhalte mit aus, daß
– die Schuhe ein Instrument der Besitzergreifung sind und
– im Staub dessen Beziehung zum Fluch über die Schlange und über Adam nachklingt?
Ist das „Staub von den Schuhen Schütteln“ das Gegenteil der Aufforderung: Ziehe deine Schuhe aus, hier ist heiliger Boden; ist es ein Fluch über die Städte, die die Jünger nicht aufnehmen?
Die Konstruktion des Begriffs der Erscheinung schließt als Kristallisationskern ein projektives Moment mit ein.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Stephanus und der Dornenkrone? Und ist der Gepfählte ein Gottesfluch nicht auch in dem Sinne, daß die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes mit der Leugnung des Nachfolgegebots und mit dem Bann der Vergegenständlichung, den sie über den Kreuzestod verhängt, genau diesen Fluch transportiert?
Der kirchliche Antijudaismus gründet in der Unfähigkeit, die Schmach und die Schande, die der Kreuzestod mit repräsentiert, zu ertragen. Die Opfertheologie, und in seinem Schatten der kirchliche Antijudaismus, ist ein Mittel und ein Produkt der falschen Verarbeitung dieser Schmach.
Hat Heinrich Böll nicht recht: Sind es nicht die verwesenden und verfaulenden Reste des Hegelschen Staats, mit denen wir es heute zu tun haben, und deren Vergiftungserscheinungen jetzt beginnen aufzubrechen und sich zu manifestieren?
Ist nicht die Unbeherrschbarkeit der vegetativen Körperfunktionen ein Hinweis darauf, wie tief die Unfähigkeit, in Vergangenes einzugreifen, in unsere eigene physische Existenz hereinreicht? Aber im Angesicht des andern erblicke ich die Spuren des Ursprungs und der Geschichte der Welt und der Menschheit: der Schöpfung.
Die Kritik des Wissens und der Vernunft durch Erinnerungsarbeit ist ein Teil des Versuchs, den Bann, der auf der Vergangenheit lastet, zu sprengen.
Ein Krieg, der wegen eines falschen Bekenntnisses geführt wird, beleidigt Gott mehr als alle falschen Bekenntnisse.
Die Astronomie hat die Astrologie nur „überwunden“, nicht widerlegt.
Himmel und Erde werden vergehen: Genau daran (an dieser Vergängnis) hat die Theologie seit der Konzeption der Lehre von der creatio mundi ex nihilo mit gewirkt.
Wodurch unterscheidet sich der griechische kosmos vom lateinischen mundus (der „geschmückte“ Kosmos von der „gereinigten“: militärisch und rechtlich begrenzten und gesicherten Welt)? Hat das deutsche Wort Mund etwas mit dem lateinischen Wort mundus zu tun? Vergleiche auch den Zusammenhang mit Münze, Munition (Verteidigung, Befestigungsanlagen, Recht)?
Hat die Beschreibung dessen, den der eine unreine Geist verlassen hat: er sei leer, gereinigt und geschmückt, mit dem Weltbegriff zu tun, der dann zur Wohnung der sieben unreinen Geister wird? Und steckt in der Folge: leer, gereinigt und geschmückt nicht eine Beziehung zu den drei Versuchungen, den drei Leugnungen, den drei Dimensionen des Raumes (auch zur Subjektivität des Raumes, des Geldes und des Bekenntnisses)?
Verhält sich das Griechische zum Lateinischen wie Form der äußeren zu der der inneren Anschauung?
28.01.93
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