28.5.1994

Die Erfindung der Schrift und die Entfaltung der darin verborgenen Logik war der erste und wahrscheinlich entscheidende Schritt im
historischen Objektivationsprozeß, der in die politische, wirtschaftliche und religiöse Geschichte der Menschheit verflochten ist. Nicht das technische Problem der Abbildung der Sprache in der Buchstabenschrift war das entscheidende, sondern der Paradigmenwechsel. Es gibt Gründe dafür, anzunehmen, daß die Entwicklung der Schrift zusammen mit dem Ursprung der Mathematik, der Entdeckung der Zahlen und der Strukturen des Raumes, erfolgte, und daß der Ursprung der Geldwirtschaft und die Entwicklung der Astronomie eine nicht unbedeutende Rolle dabei spielte. In diesem Abstraktionsprozeß, der in der indischen und chinesischen Entwicklung gleichsam abgebrochen, nicht zu Ende geführt wurde, wurden Welten bewegt.
Mit der Schrift legt sich die Logik des Andersseins über die Sprache.
Das Anschauen, das uns zu Richtern über das wehrlose Angeschaute macht, ist der Kelch des göttlichen Zorns.
Theologie ist ein der Rationalitätskontrolle unterworfenes Wunschdenken, dem die Sexualmoral das Wünschen ausgetrieben hat.
Paßt nicht das Josef-Bild, das die Kirche transportiert, das nur unter dem Blickwinkel der Karriere gesehen wird, während die Geschichte seines Handelns in Ägypten verdrängt wird, paßt das nicht als Korrelat zum Gethsemane-Verständnis, in dem der Kelch nur auf das private Schicksal eines Jesus, der mit Nachnamen Christus heißt, bezogen wird, auf seine private Todesangst (während die Angst um sein Werk merkwürdig unreflektiert bleibt, im Dunkel gehalten, durch das Getöse des Triumphalismus zum Schweigen gebracht wird)? Aber steckt nicht in jeder Todesangst mehr als nur die Todesangst; ist nicht die „Privatisierung“ der Todesangst selber schon Produkt einer gesellschaftlich verwurzelten und sehr tief verinnerlichten Abstraktion, die nicht mehr beim Namen genannt werden darf? Steckt in der Gethsemane-Geschichte nicht auch die Angst vor dem im Kreuzestod sich manifestierenden Mißlingen, die symbolisiert (und verstärkt) wird durch den Schlaf der drei Jünger?
Ist nicht das „in Ägypten kann man leben“ (Publik-Forum von gestern) eine Falle, eine Falle, die Josef selber mit aufbaut, und in die dann das Volk Israel hineingerät?
Dann kam ein Pharao, der Josef nicht mehr kannte: Hat das etwas mit dem Josef des NT zu tun, der ebenfalls nach der Kindheitsgeschichte vergessen wird, nicht mehr erscheint (sogar von Jesus, auch da, wo er seine Angehörigen, seine Mutter und Geschwister, nennt, nicht mehr erwähnt wird), zu tun?
Beide Josefs-Geschichten sind Geschichten, in denen Träume wichtig sind. Die Träume in Ägypten sind die Träume Josefs, die Träume des Mundschenks und des Bäckers und dann die Träume Pharaos; die Träume des Josef von Nazareth sind seine eigenen, aber auch sie führen nach Ägypten (und wieder zurück). – Vgl. hiermit die apokalyptische Zuspitzung der Träume Nebukadnezars, die derart sind, daß er selber sie nicht ins Bewußtsein heben kann, sie vergessen hat, und Daniel soll nicht nur die Träume erläutern (wie Josef die des Pharao), sondern er soll dem König den Traum selber zurückholen, Erinnerungshilfe leisten.
Wenn die geltenden Asyl-Gesetze die Abschiebung von Kindern und die der Familien von Asylsuchenden (und die Trennung von ihnen) ermöglicht, widersprechen sie dann nicht dem Grundgesetz, das die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt (und es kann ja wohl nicht sein, daß hier nur die deutschen Familien gemeint sind: er müßte doch wohl in alle Rechtshandlungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes eingreifen, auch ins Asylrecht)?
Anfrage an den neuen Bundespräsidenten: Solange er Präsident der Bundes-Verfassungsgerichts war, unterlag er dem Prinzip „Wo kein Kläger, da kein Richter“; er durfte nicht von sich aus tätig werden. Aber welche Befugnisse hat der Bundespräsident, ist er nicht auf andere Weise Hüter der Verfassung; ist er nicht in den Fällen, in denen er als Richter zuwarten mußte, zum Handeln verpflichtet?
Unterscheidet sich das Damaskus-Erlebnis des Paulus (seine Berufung zum Apostel: zum Zeugen der Auferstehung) nicht entscheidend von den anderen Erscheinungen des Auferstandenen, die alle vor seiner Himmelfahrt liegen, während das Damaskus-Ereignis danach folgte?
Ist nicht Paulus nur zu retten, wenn man seine kosmologische Soteriologie mit akzeptiert (die Archonten und das Seufzen der Kreatur)? Nicht Paulus, sondern der seit den Kirchenvätern hellenisierte und durch Luther modernisierte Paulinismus sind Teil der Geschichte des Sündenfalls der Kirche. Zu hellenisieren war Paulus nur um den Preis der Logik des Terrors, die Luther dann verinnerlicht hat (Modernisierung durch die Glaubens- und Rechtfertigungslehre, deren Preis die Verteufelung der Bauern und der Juden war).
Zum Staub (als Vorbegriff der Materie): Verweist das „aus Staub bist du gemacht, und zu Staub wirst du wieder werden“ im Kontext der staubfressenden Schlange nicht auf die Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft im Inertialsystem und im Bilde des apokalyptischen Tieres? Die Schlange frißt die zur Vergangenheit gemachte Zukunft? Dazu paßt es, wenn man die Schlange als Symbol des Neutrum und des Weltbegriffs begreift.


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