Haben die drei Versuchungen Jesu etwas mit der gegenwärtigen ökonomischen Verwüstung der Welt zu tun? Dann steckt in dem Anfangssatz: „Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden“ (Mt 41) die ganze Kirchengeschichte. Vgl. die Kurzfassung bei Mk (112f): „Und alsbald treibt ihn der Geist in die Wüste hinaus. Und er wurde in der Wüste vierzig Tage lang vom Satan versucht; und er war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm“.
Die drei Versuchungen (Mk 41ff):
– Steine in Brot – Antwort: „Nicht vom Brot allein …“
– Sturz von der Zinne des Tempels – Antwort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen“
– Alle Reiche der Welt – Antwort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott anbeten und ihm allein dienen“.
Lk (41ff) vertauscht die beiden letzten Versuchungen.
Sind die beiden Sätze nicht äquivalent:
– Die Schrift ist ein durchsichtiger Körper, und:
– Die vier Evangelien sind ein vierdimensionales Puzzle?
Zum „leeren, gereinigten und geschmückten Haus“ in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern: Zum griechischen kosmos gehört die physis, zum lateinischen mundus die natura: zum geschmückten Haus gehört das Gezeugte, zum gereinigten Haus das Geborene?
Ebenso wie ein differenziertes Schulsystem: die Volksschule und das Gymnasium, gab es früher ein differenziertes Haftsystem: das Gefängnis und das Zuchthaus. Sind die Haftanstalten heute Gesamtschulen der Kriminalität? Heute liefern die Knäste die Rohstoffe für die staatlichen Ermittlungs- und Verfolgungsindustrien.
Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße: Solange Gott auf dem Thron sitzt, gibt es keine Befreiung, weder für Gott, noch für die Welt. Bezieht sich nicht das „… wird auch im Himmel gelöst sein“ auf den Thron Gottes?
In welcher Beziehung stehen die vier Wesen der Merkaba zu den vier apokalyptischen Reitern, zu den vier Himmelrichtungen, zu den vier Planeten Jupiter, Mars, Venus und Merkur? Ist nicht das „voller Augen“ ein Einspruch gegen die Vorstellung des unendlichen Raumes (der Abstraktion vom Gegenblick)?
Die Verführung des Rechts liegt darin, daß es denen, die unten sind, den Blick auf die Freiheit verstellt. Die Verurteilungs- und Bestrafungsphantasien scheinen auch denen zu gelten, die oben sind, sie treffen aber immer nur die, die unten sind, und d.h. am Ende sie selber. Nicht nur in der Ökonomie, sondern auch im Recht, das der Ökonomie die Formen und den Rahmen bereitstellt, gibt es den real existierenden Widerspruch, der nur durch Reflexion aufzuklären, aber nicht endgültig zu lösen ist, und in den sich verstrickt, wer glaubt, der Logik des Rechts sich bedienen zu können.
Urteil und Strafe sind keine Mittel der Revolution, der Befreiung.
Die Juden sind der lebendige Beweis, daß die Vergangenheit mit Hilfe des Urteils sich nicht bannen läßt.
In den Evangelien wird nur an zwei Stellen ans Gedächtnis der Nachgeborenen appelliert:
– „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 2219, beim letzten Abendmahl)
. dieses Wort sagt er (im Unterschied zu 1 Kor 1123ff) in den Evangelien nur beim Brot, nicht beim Wein; da (bei Mt 2629 und Mk 1425) heißt es vielmehr, daß er „vom Gewächs dieses Weinstocks nicht mehr trinken (wird) bis zu jenem Tage, da ich es neu trinken werde im Reiche Gottes“,
und das andere:
– „Wo immer in der ganzen Welt dieses Evangelium gepredigt wird, da wird auch das, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis erzählt werden“ (Mt 2613, Mk 149, nach der Salbung durch eine namenlose Frau im Hause Simons des Aussätzigen in Bethanien; vgl. auch Joh 121ff; hier ist es Maria, die Schwester des Lazarus und der Martha, die ihn salbt )
. vgl. hierzu Mt 2414: „Und dieses Evangelium vom Reiche wird auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden, allen Völkern zum Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“.
Welch ungeheurer Bogen ist hier gespannt.
28.2.96
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