Auch: Das tun die Andern doch auch; was andere können, wirst du doch auch wohl können; ich auch. Die Reflexion auf den anderen, die in dem Wörtchen „auch“ drinsteckt, gehört zu den Implikationen des Weltbegriffs. Es ist die Logik des „außengeleiteten Charakters“, die in politischem Zusammenhang das Gewissen durch das Ausland (oder die Geschichte) ersetzt. Ist das „auch“ nicht der Statthalter des Inertialsystems in der Sprache? Wie steht es überhaupt mit jenen Sprachpartikeln, die als logische Partikel fungieren, zu denen neben Und und Oder das Sowohl-als-auch und das Ohnehin gehören.
Kritik der Informatik als Gesellschaftskritik: Verweist nicht die Schwierigkeit, Computerprogramme in Gebrauchsanweisungen zu erklären, auf einen Mangel in den Programmen selber? Gleichen diese Schwierigkeiten nicht den Problemen, die heute bei der Formulierung von Rechts- und Verwaltungstexten (Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, behördlichen Formularen) auftreten? Hängen diese Probleme damit zusammen, daß in der Technik wie in der Gesellschaft die Beziehungen zwischen Intention und Resultat, Ziel und Nebenwirkungen, immer undurchschaubarer werden? Der Rückzug auf den Positivismus löst das Problem nur subjektiv (er schafft zur unzulänglichen Tat das gute Gewissen), nicht objektiv, er verschärft es nur.
Heute eine Meldung in der FR: Der Asylantrag eines russischen Offiziers, der sich geweigert hat, am Tschetschenien-Krieg teilzunehmen, und dem in seiner Heimat wegen Desertation die Todesstrafe droht, ist abgelehnt worden. Nach diesem Rechtsverständnis sind Bürger Leibeigene ihres Staates, hat der Staat ein Eigentumsrecht an seinen Bürgern, das ihm ein anderes Land auch im Rahmen des Asylrechts nicht streitig machen darf.
Kritik des Personbegriffs: Der Personbegriff hat sich erst im Kontext der staatlichen Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern konstituiert; er bezeichnet genau diesen Sachverhalt: die Eigentumsfähigkeit, durch die er in die staatlichen Institutionen eingebunden wird (nur deshalb gibt es juristische Personen, nach Scheler auch Gesamtpersonen). Wenn der Personbegriff (beispielsweise im Kontext der christlichen Mission) auch auf Menschen in nicht staatlich organisierten Gemeinschaften angewandt wurde, war das nicht schon ein erster fundamentaler Akt zur Vorbereitung der kolonialistischen Unterwerfung (ihrer Eingliederung in staatliche Strukturen)? Vor allem aber: Hat nicht die Einführung des Personbegriffs in die (lateinische) Trinitätslehre durch Tertullian der christlichen Theologie die entscheidende Wendung gegeben, durch die sie fähig wurde, zur Legitimationsgrundlage des Römischen Reiches zu werden? Hat nicht die Theologie mit der Rezeption des Personbegriffs sich selbst in die Eigentumsstrukturen verstrickt, die es dem Staat ermöglichten, ein Eigentumsrecht an der Theologie zu erwerben? Mit der Rezeption des Personbegriffs ist der Idee der Heiligung des Gottesnamens der Grund entzogen, ist die Idee des Namens (und damit der Gotteserkenntnis selber) entwurzelt worden, hat die Theologie sich dem Zugriff des Begriffs preisgegeben. Der Personbegriff hat die Kraft des Namens gelöscht.
Müssen nicht die Tiersymbole der Apokalypse (der Drache, das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande) auch auf die Trinitätslehre bezogen werden (das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache, der falsche Prophet, ist eine offenkundige Parodie des Heiligen Geistes)?
Drückt in dem Hegelschen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, nicht etwas von der Logik sich aus, die der symbolischen Tierkonstellation in der Apokalypse zugrunde liegt? Wenn die Natur den Begriff nicht halten kann, so ist das eine Folge des Zirkels, in den die Vorstellung, daß die Idee die Natur frei aus sich entläßt, sich verstrickt. Natur und Idee konstituieren sich, indem sie sich gegenseitig ausschließen: Deshalb vermag weder die Idee die Natur aus sich zu entlassen, noch die Natur den Begriff in sich zu halten; beide, Natur und Begriff (oder Idee), sind durch die Urteilsform vermittelt, ihre Geltung reicht soweit wie die Erkenntniskraft des Urteils, unabhängig davon haben sie keine Bedeutung. Kann es sein, daß die zum Drachen hinzutretenden Tiere als symbolische Repräsentanten des Urteils (und damit des Weltbegriffs) sich begreifen lassen?
Hängt das Buch Hiob mit dem Buch Jona nicht insofern zusammen, als beide nicht auf jüdische, sondern auf Verhältnisse in der Völkerwelt sich beziehen: Der prophetische Auftrag des Jonas ist an Ninive gerichtet, und Hiob war ein Mann aus Uz. (Was bedeutet es, daß Hiob zusammen mit Noah und Daniel bei Ezechiel – 1414+20 – genannt wird?) Im Buch Hiob erscheinen erstmals die beiden Tiere (Behemoth und Leviathan); im Buch Jonas ruft der König auch die Tiere (die Rinder und Schafe) zur Buße auf, und Gott begründet sein Erbarmen gegen Ninive u.a. mit dem Hinweis auf „so viel Vieh“.
Zu Jona: Hat Tarschisch nicht doch etwas mit Tarsos, dem Geburtsort des Paulus, zu tun?
Wenn der Fisch etwas mit dem Schiff zu tun hat (die beide durch Umkehrung aufeinander sich beziehen lassen), hat dann auch das Schaffen etwas mit dem Faschismus zu tun (und das bara mit dem arab)?
Ist der Ismael ein Israel ohne Isaak (ohne die Konstellation von Schrecken, Lachen und Akeda)? – Ist die arabische Schrift eine Sternschrift?
Erinnert nicht der Hinweis Edgar Morins, daß die Musik dem Film Tiefe, Plastik und Materialität verleiht, an eine Bemerkung Spenglers, daß die Musik in der modernen Welt die Stelle einnimmt, die in der alten Welt die Skulpturen, die Statuen innehatten? War nicht schon das kopernikanische System eine dramatische Konzeption für eine Guckkastenbühne, deren Wände der Fixsternhimmel bildete: Produkt einer Ästhetisierung der Welt? Und hat diese Ästhetisierung nicht im politischen Faschismus, der das Produkt einer Inszenierung und eigentlich ein Film war, sich vollendet? Welche Bedeutung hat dann heute die allgegenwärtige Musik (und was drückt in ihr sich aus)?
Verweist nicht der kantische Begriff der Erscheinung (vor dem Hintergrund der transzendentalen Ästhetik, die das Reich der Erscheinungen begründet) auf die Ästhetisierung der gesamten Wirklichkeit? Nicht erst die mathematischen Naturwissenschaften, sondern schon ihr Vorläufer, die Orthodoxie, hat die Wahrheit durch das Verhältnis von richtig und falsch ersetzt: Indiz der vollständigen Ästhetisierung der Theologie. Die Orthodoxie war das Produkt der Monologisierung der Theologie, ihrer Subsumtion unter die Logik der Schrift. Sie hat die Theologie gegen das „Heute, wenn ihr Seine Stimme hört“ immunisiert.
Die Apokalypse ist eine Gesellschaftstheorie; sie gehört zur Geschichte der Logik der Schrift: So wie auch die Passion Jesu, zu der das „damit die Schrift erfüllt werde“ (in dem Gespräch auf dem Weg nach Emmaus und und in der Belehrung des äthiopischen Eunuchen durch Philippus) gehört.
Ist nicht der Unterschied zwischen dem „et sanabitur anima mea“ im „Domine, non sum dignus“ und seiner deutschen Übersetzung „so wird meine Seele gesund“ der Unterschied ums Ganze? Hier liegt das finstere Geheimnis einer durch die Bekenntnislogik verhexten Erlösungslehre: Das sanabitur verweist aufs Hören des Worts, das Gesunden auf einen magischen Akt. Der Bann wird erst gesprengt, wenn der Gehorsam, den alle Kirchen fordern, durchs Hören gelöst wird.
Daß Primo Levi, Jean Amery und Paul Celan Selbstmord begangen haben, sagt etwas über den Stand der Prophetie heute.
28.4.1995
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