28.7.96

Ist nicht das Sektiererische an der Apokalypse ein Sprachproblem, eines, das in der Logik des Weltbegriffs gründet? Und ist nicht die Apokalypse der Schlüssel zur Lösung dieses Problems (des Problems des Fundamentalismus)?
Man kann nicht magnificare mit Großmachen (Jankowski) und zugleich justificare (anstatt mit Gerechtmachen) mit Rechtfertigen übersetzen. Der Glaube, der gerecht macht, ist ein anderer als der, der rechtfertigt. Der eine steht vor der Tat, die er ändert, der andere folgt der Tat, die er nicht mehr nicht mehr rückgängig machen, sondern nur noch anders beurteilen kann. Der erste Glaube ändert die Praxis (und mit ihr die Welt), der andere nur das Urteil. Zwischen diesen beiden Gestalten des Glaubens liegt der Weltbegriff, der sie trennt. Der rechtfertigende Glaube gehört zur Anpassung an eine Welt, die sich doch nicht ändern läßt, während der gerechtmachende Glaube auf eine Welt sich bezieht, die ebenso änderungswürdig wie -fähig ist. Die Apokalypse, die für den rechtfertigenden Glauben ein Schreckensbild ist, deckt dem gerechtmachenden Glauben die Schwierigkeiten und Hindernisse auf, die sich ihm in den Weg stellen, auf deren Erkenntnis er um seines Ernstes und seiner Würde willen jedoch nicht verzichten kann.
Das Wort vom „Zudecken der Sünde“ (Jak 520) fällt unter die Levinassche Asymmetrie (unter den Satz vom Rind und vom Esel); man darf es nicht auf sich selbst beziehen (auf die Verdrängung). Es ist die andere Seite des „Richtet nicht, …“. Hier läßt sich zeigen, daß Liebe (Gnade) etwas anderes ist als „Huld“, in der der „gnädige Herr“ nur sich selber spiegelt. Huld ist die abscheuliche Gnade von oben, die zugleich demütigt.
Wer Religion als Kuschelecke sucht, tut der nicht dasselbe, was die Kirche seit je getan hat: in einer Welt, an deren Veränderung sie nicht mehr glaubt, sich komfortabel einzurichten? Auch das Dogma war einmal ein Teil dieses Komforts.
Natur ist ein herrschaftsgeschichtlicher Begriff. Als Habermas seine Kant-Kenntnisse verdrängte und die Naturwissenschaften als nicht mehr hinterfragbar erklärte, hat er die Idee einer Kritik der Herrschaftslogik aus seiner Philosophie ausgeschlossen; so blieb ihm nur noch die Möglichkeit des „herrschaftsfreien Diskurses“, die es nicht gibt, auf der er gleichwohl seine Kommunikationstheorie aufzubauen versucht hat. Seitdem steht seine Philosophie unter Rechtfertigungszwang (aus dem sein Konzept des „Verfassungspatriotismus“, das die Idee einer richtigen Gesellschaft ersetzen sollte, allein sich erklären läßt).
Beide, Natur und Welt, sind keine theologischen, sondern herrschaftsgeschichtliche Kategorien.
Jede Blume und jedes Tier widerlegt das kopernikanische System.
Zu den ägyptischen Plagen gehören:
– das Wasser (auch das in „hölzernen und steinernen Gefäßen), das zu Blut wird (später wird Jesus Wasser in Wein und den Wein in sein Blut verwandeln?),
– die Frösche, die u.a. in die Betten und in die Backtröge kriechen (vgl. die Geschichte mit Pharaos Weib und mit dem Oberbäcker; in der Apokalypse werden sie als „unreine Geister“ begriffen),
– drei Insektenarten: die Mücken, das „Geziefer“ (Buber), und später die Heuschrecken,
– die Pest, die der HERR über das Vieh der Ägypter (nicht über das der Israeliten) kommen läßt,
– der Ofenruß, der zum Himmel geworfen zu Staub wird und an Mensch und Vieh (auch an den Zauberern) Beulen und Geschwüre hervorruft,
– der Hagel, der zusammen mit Donner und Feuer alles erschlägt, was auf dem Felde ist, Mensch und Vieh, Gewächs und Bäume, auch Flachs und Gerste (nicht Weizen und Spelt, die später reifen),
– dann die Heuschrecken, die alles fressen, was der Hagel übriggelassen hat (auch Weizen und Spelt),
– dann die Finsternis und
– am Ende der Tod aller Erstgeburt, vom Pharao bis zur Sklavin, auch beim Vieh.
Paulus hat, außer an die Römer, u.a. auch Briefe an die Korinther, an die Thessalonicher und an die Galater geschrieben. Der Brief an die Römer ist wie die an die Korinther und Thessalonicher als Brief an die Bewohner Roms zu verstehen, und nicht, wie der an die Galater (oder an die Hebräer), an einen durch andere Kriterien definierten Adressaten. Aber kann es nicht sein, daß mit den Römern zunächst nur die Einwohner Roms, darüber hinaus aber auch die römischen Bürger insgesamt (zu denen auch Paulus gehörte) gemeint waren, eine politisch-rechtlich, nicht nur lokal definierte Gruppe? Hätte dieser Brief, so verstanden, dann nicht eine ganz andere, die Intention der paulinischen Völkermission („Heidenmission“) neu bestimmende Bedeutung? So wäre er ein Text der Selbstverständigung, eine Apologie, aber auch ein Programm.
Wer sind die „Galater“, und weshalb schreibt Paulus einen Brief „an die Gemeinden <tais ekklesiais> in Galatien“ (während Johannes zum Eingang der Apokalypse die sieben Briefe an „die Engel der ekklesiai in Asien“ schreibt)? – Zu den „Galatern“ vgl. Der Kleine Pauly, Bd. 2, Sp. 666ff.
Ist die Frage „Wer war Paulus“ eigentlich wirklich geklärt?
– Hat Tarsus in Cilicien etwas mit Tarschisch zu tun (und Paulus mit Jonas, der nach Tarschisch floh, als er den prophetischen Auftrag an Ninive erhielt)?
– Israelit, Benjaminit und Römer: Diese Identitätsnamen erinnern an
. den „Schüler“ des Gamaliel,
. den Eigennamen Saulus (und den Benjaminiten Saul, den königlichen Vorgänger und Gegenspieler Davids) und
. den anderen Namen Paulus (mit dem er erstmals bei seinem Aufenthalt in Zypern, beim Statthalter Sergius Paulus, genannt wird; schließt das „Römer von Geburt“, das an „Römer von Natur“ anklingt, eigentlich eine Adoption aus? Natur selber, in deren Namen der der Geburt nachklingt, ist ein herrschaftsgeschichtlicher Begriff, ein Korrelat der patria potestas.)
– Paulus war kein „Zelot“ (das aus der einen Stelle im Gal abzuleiten, ist ähnlich haltlos, wie der mittlerweile herrschenden, sachlich gleichwohl völlig unbegründeten Auffassung, die aus Rosenzweig aufgrund einer einzigen Erwähnung Heideggers zum Existentialisten gemacht hat); war Paulus nicht eher ein V-Mann der Herrschenden (der Hohenpriester, in deren Auftrag er die Gemeinde bis hin nach Damaskus verfolgte)?
Hängt nicht der Satz aus dem Jakobus-Brief, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert, mit dem letzten Satz des Buches Jonas zusammen („wie sollte ich mich nicht erbarmen, …“)?
In welcher Beziehung steht der Name des Petrus („Fels“) zum Staub, aus dem Adam geworden ist, und zu dem er wieder werden wird (der war und wieder sein wird), und die Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern zum Samen Evas, der der Schlange den Kopf zertreten wird?
Wenn die Welt „das Objekt nicht halten kann“, wenn sie in einer gleichsam parasitären Beziehung zur Natur steht, die Hegel zufolge „den Begriff nicht halten kann“, ist das nicht ein genaues Abbild des Attributs des Tieres, das „war, nicht ist, und wieder sein wird“? Und war die Zukunft, die von der Vergangenheit aufgezehrt wird, nicht vorher schon die „zukünftige Vergangenheit“: das Futur II?


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