29.04.93

Anders II, Anm. 5 zu S.46: Diejenigen Tiere, die nur konsumieren, also noch nichts aufspeichern (es sei denn am eigenen Leibe), kennen weder Dauer noch Gegenstand noch Eigentum. Die drei bilden ein kategoriales System.
Das Fernsehen arrondiert zur zweiten Natur durch die logisch geforderte zweite Welt (vgl. Anders II, S. 54). Diese zweite Welt ist eine, in der wir als Objekte den Schein, Subjekt zu sein, frei Haus geliefert bekommen und genießen; dieser Schein ist selber naturwüchsig gewachsen im Nachbarschaftstratsch, der durchs Fernsehen auf die reale Welt ausgedehnt wird.
Das moralische Subjekt hat keine Erlebnisse, sondern Erfahrungen. Erlebnisse hat nur das ästhetische Subjekt: der Zuschauer. Die Berufserfahrungen verweisen darauf, daß Erfahrungen Praxis voraussetzen, während Erlebnisse nur im Geltungsbereich des Trägheitsprinzips möglich sind. Die Lohnarbeit und das Experiment (der Kapitalismus und die naturwissenschaftliche Aufklärung) vermischen Erlebnis und Erfahrung, begründen den Schein einer moralisch neutralisierten Praxis (und Erfahrung).
Waren die „Fälschungen“ des Mittelalters nicht schon angelegt in jener Art des Positivismus, die erstmals im Dogma, ausgeführt bei Augustinus (u.a. in dem ad litteram im Titel De genesi ad litteram), erscheint? Die mittelalterlichen Fälschungen gehören in die Vorgeschichte des Nominalismus: In ihnen enthüllt sich der Realismus als Machtinstrument, als experimentelle Nutzung der „verandernden Kraft des Seins“. Die Fälschungen fallen in die gleiche Zeit, in der kirchliche Machtpolitik in Institutionen wie die Lehre vom Fegfeuer, im Zölibat und in der Einführung der Ohrenbeichte (dem Mißbrauch der Lösungsvollmacht der Kirche) sich manifestiert. Aber auch hierfür gilt das „bona fide“ mit dem Johannes Paul II zusammen mit der „Rehabilitierung“ Galileis auch die Inquisition, die ebenfalls in den Kontext der Fälschungsgeschichte hereingehört, freigesprochen hat. Ohne Fälschung waren auch schon das Urschisma (die Ablösung der Kirche vom Judentum) und die Urhäresie (die Gnosis) nicht zu bewältigen. In die Folgegeschichte der Fälschungen gehören das Chronologie-Problem (in der Erd- wie in der Menschheitsgeschichte), insbesondere das altorientalische Sumerer-Problem, aber auch der Antisemitismus (die Grundfälschung überhaupt) und der Faschismus und die Hilflosigkeit gegen ihn, sowie heute eine Struktur von Politik und Öffentlichkeit, die ohne Geheimdienste und ohne aktive Desorientierung der Öffentlichkeit nicht mehr zu funktionieren scheint. FBI und KGB bzw. Stasi und Verfassungschutz sind Produkte unseres Jahrhunderts und Symptome eines Zustands der Welt, der in der christlichen Vorgeschichte (in der Geschichte der Pornokratie, der Fälschungen und der Pornographie) sich herausgebildet hat, und gegen die die bloß moralische Betrachtung („Kriminalgeschichte des Christentums“) ohnmächtig bleibt, durch den in dieser Geschichte erwachsenen Mangel an Reflexionsfähigkeit im Entscheidenden, nämlich im Gegenwartsbezug, in der Fähigkeit zur Selbstverständigung der Gegenwart, gehindert wird, mit ihm den Begriff einer Erkenntnis, die ihrem Anspruch gerecht werden könnte, verdrängt.
Der Nominalismus hat das realistische Moment in der Begriffsbildung soweit subjektiviert, daß es nicht mehr reflektierbar war.
Mt 529ff, 188f, Mk 943ff: „Wenn dich deine Hand, den Fuß, dein Auge zum Bösen verführt, so hau sie ab, reiß es aus. Es ist besser …“ Rätselhafter Spruch (hat dieses Auge etwas mit dem Augapfel zu tun, an den rührt, wer Israel angreift?).
Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, rührt her von der Verblendung gegen die Gegenwart (Subsumtion der Vergangenheit unter die Zukunft). Und ist das „und so viel Vieh“ nicht ein Deckname für Behemot? Auf den Aufruf des Königs hin haben in Ninive außer den Menschen auch die „Tiere: Rinder, Schafe, Ziegen“ Buße getan: Sie sollten „nichts essen, nicht weiden, nicht trinken“.
Die zukünftige Welt ist vergangen: so ist sie der eigentliche terminus ad quem der Erinnerungsarbeit.


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