29.09.93

Zu Johann Baptist Metz: Was hat die Welt davon, wenn wir „Ja und Amen zur Welt“ (anstatt zu den göttlichen Verheißungen, wie es bei Paulus korrekt heißt) sagen? Merkwürdig, daß Metz der Welt ein Anerkennungsbedürfnis unterstellt: Ändert das die Welt oder nicht doch nur den Anerkennenden (den Konformisten)? Und wer ist das Subjekt dieses Bedürfnisses: Ist es nicht der der Welt sich Anpassende, der aus guten Gründen die Anpassung ohne die Komplizenschaft der Anderen (ohne ihre bekenntnishafte Zustimmung) nicht zu leisten bereit ist? Ist nicht das „Ja und Amen zur Welt“ der eigentliche Inhalt jedes Glaubensbekenntnisses (und seiner logischen Durchbildung in Trinitätslehre und Opfertheologie)?
Es gibt keinen Weltbegriff ohne Bekenntnislogik. Die Idolatrie gehört zur Geschichte der Ausbildung und Entfaltung dieser Bekenntnislogik (und des Weltbegriffs), sie hat sich vollendet im Dogma. Das Dogma (das erst durch Umkehr wahr wird) ist das versteinerte Herz der Kirche, und die Kirche das versteinerte Herz der Welt.
Weist nicht das „Weiche von mir, Satan“ darauf hin, daß die Petrus- und die Dämonen-Geschichten zusammengehören (ähnlich wie die drei Leugnungen mit den sieben unreinen Geistern)?
Die Wahrheit ist nicht Gegenstand des Urteils; deshalb hat Jonas Unrecht.
Hat das Binden und Lösen etwas mit dem Millenium zu tun, und ist die Kirchengeschichte dieses Millenium (die Zeit der Bindung)?
Die Welt ist die Welt der anderen, zu denen ich selbst als anderer für andere auch gehöre. Das ist der logische Kern des Weltbegriffs und der Entfremdung.
Sind die Banker nicht die Priester der Geldreligion?
Wenn die Konservativen den Linken vorwerfen, sie könnten nicht mit Geld umgehen, so wäre gegenzufragen: Welcher Politiker kann schon mit Geld umgehen?
Der Begriff der Weltanschauung bezeichnet den (logisch unmöglichen) Sieg und das Attribut des Siegers in der zum Weltgericht sich aufspreizenden Weltgeschichte. Deshalb war der Weltanschauungskrieg ein Vernichtungskrieg. Zur Vorgeschichte der Weltanschauung gehört die Geschichte der Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung. Im Begriff der Weltanschauung erweist sich die Anschauung als Medium der richtenden Gewalt. Zum Anschauen gehören auch das Schaufenster (der Erwecker der concupiscentia) und die Reklame (die nach Adorno den Tod verschweigt).
Die Unfähigkeit, die Formen Anschauung selber in die Reflexion mit einzubeziehen, ist eine Folge davon, daß Reflexion nur im Medium der Anschauung möglich ist; sie ist der Grund der Hybris.
Wenn die Theologie die Lehre von der Anschauung Gottes auf das Objekt der Trinitätslehre bezieht, verdrängt sie dann nicht das Angesicht Gottes, eliminiert sie dann nicht das Gesehenwerden, das „von Angesicht zu Angesicht“: die Gottesfurcht?
Als aus der Anschauung Gottes das Angesicht gestrichen wurde, wurde die Gottesfurcht gestrichen. Das ist in der Philosophie umgeschlagen in die Angst vor dem Angesicht (Ursprung des Portraits?), die dann in der Entfaltung der Mathematik und in der Bildung des Neutrums sich ausdrückte.
Das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, hat etwas mit dem kreisenden Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses zu tun: Es zerschneidet das Licht und entfernt aus ihm die Quelle des Angesichts, verwandelt es in eine Form der Anschauung.
Wie verhält sich das Sehen zum Schauen? Ist nicht im Sehen das reflexive Moment mit enthalten, von dem das Schauen dann abstrahiert (vgl. den Zuschauer und die Anschauung Gottes)? Die Welt heute verhält sich zum Faschismus wie das Fernsehen zum Radio. Deshalb ist die Reflexion der kantischen Philosophie und der Bedeutung der subjektiven Formen der Anschauung in ihr an der Zeit.
Müssen die Psalmen, wenn sie als Lieder Davids verstanden werden, nicht als Versuch der Durchdringung der Königsidee mit prophetischem Geist verstanden werden: als messianisch? Die Apokalypse hingegen ist das auf die Kaiseridee und die Weltreiche bezogene Gegenstück zur Prophetie: Als Instrument der projektiven Verarbeitung der Angst instrumentalisiert sie die Angst, ist sie angsterzeugend; wahr ist sie nur als Medium der reflexiven Verarbeitung der Angst: als Erkenntnis. Die projektive Verarbeitung der Angst ist fundamentalontologisch und faschistisch. Bangemachen gilt nicht, aber die Apokalypse ist endlich zu begreifen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Jesus-Wort an Johannes und den drei Gestalten des Bösen?
– Gegen den Satan, den Ankläger, steht der Paraklet,
– gegen den Teufel, den Verleumder und die Verkörperung der Wut, steht der göttliche Zorn,
– dämonisch ist die Instrumentalisierung, Verinnerlichung und Neutralisierung beider: ihre Subjektivierung; hiergegen steht die Austreibung der Dämonen, die der frohen Botschaft den Weg zu den Armen freimacht.
Heidegger hatte recht: Die deutsche Sprache ist die Sprache der Philosophie, aber sie ist es als Grenze zur Theologie und wird theologisch, wenn sie die Reflexion auf diese Grenze in sich mit aufnimmt.
Woher kommen und was bedeuten die Begriffe des Anderen und des Fremden? Gründen nicht beide in Präpositionen, und zwar das „an“ bzw. das „vor“ oder „für“ (im Englischen „for“; weshalb heißt der Fremde im Englischen the stranger)?
Das Präfix be- im Englischen: Vgl. die Beziehung von for und before (auch between, become, behalf, belief, belong, beloved, below, beneath, beside, betray, beware, beyond).
-schen: Suffix zur Bildung von Verben aus Nomina (feilschen, herrschen). Gilt diese Definition eigentlich generell, oder sind es nicht bestimmte Verben (z.B. grapschen), die so aus Nomina sich bilden lassen? Bezeichnen nicht alle diese Verben Tätigkeiten, die sich direkt auf andere als Objekte beziehen; steckt nicht in allen etwas von einer objektivierenden, erniedrigenden Tätigkeit, etwas Verächtlich-Machendes?
Das Verb „zernichten“ taucht an zwei Stellen auf,
– bei Georg Büchner: „Ich fühle mich wie zernichtet im Anblick des gräßlichen Fatalismus der Geschichte“ (aus einem Brief an die Eltern, nach Hinweis auf das Studium der französischen Revolution), und
– bei Franz Rosenzweig: „Zeit ist’s zu handeln für den Herrn, sie zernichten seine Lehre“ (Überschrift über einen Aufruf zur Gründung einer Hochschule für die Wissenschaft des Judentums).
Beide Stellen bezeichnen welthistorische Wendepunkte.


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