29.10.95

Theologie: domestizierte Paranoia? Nicht Gott, sondern Sein NAME ist Gegenstand der Theologie. Der Gott, „über“ den zu reden wäre, ist ein paranoisches Produkt. Theologie im Angesicht Gottes ist die Theologie der Arglosigkeit.
Ist nicht das Dogma – mit seinem Kern, der Opfertheologie – ein paranoides System, und zwar das konsequenteste, logisch durchgebildetste?
Wenn Jugendliche heute in der Oper lachen, verweist das nicht auf den Zerfall der bürgerlichen Privatsphäre, die in der Oper an ihren herrschaftsgeschichtlichen Ursprung im Barock (an ihren Ursprung in der Geschichte der Privatisierung der Herrschaft) erinnert wird?
Beispiele sind kein Beweis: Die Frage ist nicht, ob es Fortschritt in der Geschichte gibt, sondern was das ist, was wir Fortschritt nennen.
Wenn Ulrich Duchrow unter Berufung auf Ton Veerkamp sagt, daß der Überbau nicht nur wirtschaftlich determiniert sei, neutralisiert er den Widerspruch zu einem sowohl als auch. Es gab nicht den Dornbusch und daneben das Feuer, sondern im brennenden Dornbusch hat Gott sich offenbart.
Das Inertialsystem ist der Systemgrund der Ästhetisierung der Erscheinungen. Eine Kritik der Phänomenologie, des Begriffs und der Sache (von Lambert über Hegel bis Husserl), müßte insbesondere dieses Moment der Ästhetisierung im Begriff der Erscheinungen ins Bewußtsein heben. In diesen Zusammenhang gehört die Bedeutung des Präfixes er- im Begriff der Erscheinung sowie seine Beziehung zum Sein: Beide erinnern an die Logik der dritten Person (des Andern), die den Grund benennt, aus dem der Weltbegriff und der Begriff der Erscheinungen hervorgehen.
Zur Kritik der Trinitätslehre: Die Erscheinung wird erzeugt, wie auch der theologische Ursprung auf die Christologie (auf die „Erscheinung des Herrn“), zurückweist. Wie der Sohn ist auch die Erscheinung „gezeugt, nicht geschaffen“: Deshalb ist der Begriff der Schöpfung auf die Natur nicht anwendbar (und deshalb gibt es so etwas wie eine „christologische Struktur“ des Naturbegriffs).
Die Bewegung des Lichts im Raum wird mit den Begriffen Fortpflanzung und Ausbreitung beschrieben, und diese Begriffe bezeichnen nicht das Gleiche: Verhält sich nicht die Ausbreitung zur Fortpflanzung wie die Fläche zur Norm? Und ist es nicht diese Beziehung der beiden Begriffe, die dem Korpuskel-Welle-Dualismus zugrundeliegt, in ihm sich reflektiert?
Mit der Austreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel hat Jesus den Auftrag an Josue zu Ende geführt: er hat den Bann über Kanaan vollstreckt.
Der wachsende Anteil der Gremien, die Regierungsaufgaben übernehmen, aber nicht demokratisch gewählt und keiner demokratischen Kontrolle unterworfen sind: Verfassungsgericht und Zentralbanken im Innern, transnationale Gremien wie IWF, Weltbank, Europäischen Union draußen (vgl. Duchrow, Alternativen, S. 106). Zusammenhang mit dem Konstituierungsprozeß, in dem die Marktgesetze nach innen und außen sich durchsetzen („schlanker Staat“, Privatisierung öffentlicher Betriebe, Entpolitisierung der Politik und Ausbreitung der – nur noch „Sachgesetzen“ gehorchenden – Verwaltung).


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie