Die christliche Theologie lebt davon, daß in der Ursprungsphase der Philosophie die Zwangslogik, Reflex der Gewalt im Denken, noch verschränkt war mit der benennenden Kraft der Sprache. Aber nachdem sich der Nominalismus, Konsequenz der Zwangslogik, durchsetzte, hat die Theologie ihre raison de etre verloren und die Partei der Gewalt ergriffen. Das war der Grund der Entstehung der Inquisition.
Weltkritik ist Herrschaftskritik, und nur der Gott, der als Schöpfer der Welt verstanden wird, löst sich im Prozeß der Verweltlichung der Welt auf: im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft. Was sich nicht auflöst, ist der Schöpfer der Himmel und der Erde.
Im empathiefreien reinen Zuschauen, in den Laborbedingungen, die hergestellt werden müssen, um das reine Zuschauen (Georg Lukacs‘ „kontemplative Erkenntnis“ der Herrschaft) zu ermöglichen, sind die Inquisition, die Geheimdienste und die Stasi vorgebildet. Die Stasi war der zwangsläufige Versuch, die reinen Laborbedingungen herzustellen, unter denen der Sozialismus als Experiment durchgeführt werden sollte. Aber daß dadurch die gesamte Gesellschaft zur trägen Masse degradiert wurde, die das Ganze durch ihre eigene Gravitation in den Abgrund geführt hat, wurde aufgrund der naturwissenschaftlichen Verblendung nicht gesehen. Ähnlich hat die Inquisition im Hochmittelalter jene Laborbedingungen hergestellt, in denen die Gläubigen die Chance haben sollten, die Schuld, der sie ohnehin verfallen waren, zu bekennen und zu büßen. Die Scheiterhaufen waren Manifestationen der Hölle, zu der die Welt inzwischen zu werden drohte.
Die Geschichte des Marxismus ist noch nicht zuende; sie wird es erst dann sein, wenn innerhalb des Marxismus das Problem der Armen und der Fremden gelöst wird. Das Gefährlichste am Sieg über den Sozialismus ist der Triumph der Sieger: die Selbstverblendung durch den Sieg. Vergessen wird das Erkenntnismoment in der Kritik der politischen Ökonomie. Aber dem hatte der real existierende Sozialismus selbst schon vorgearbeitet: in der Unterdrückung all dessen, was an Erkenntnis erinnerte, weil es an die theologische Vergangenheit erinnerte. Notwendig gewesen wäre insbesondere, was Georg Lukacs begonnen, dann aber verdrängt hatte: die Kritik der politischen Ökonomie durch eine Kritik der Naturwissenschaften zu ergänzen, die Marxsche Erinnerung an Jakob Böhme und an die resurrectio naturae aufzunehmen. Das aber heißt: nicht nur die gegenständlichen Manifestationen von Herrschaft, sondern ihre Wurzeln in den vergesellschafteten Menschen, die Vergesellschaftung von Herrschaft und die vergesellschaftete Herrschaft selber, in die Kritik mit aufzunehmen.
Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ist nur eine Weltmacht übriggeblieben. Was bedeutet das?
Mit der Unterdrückung der Idee der Befreiung der Natur zerstört Habermas die Wurzeln der Empathie.
Königtum und Opfer, Geld und Idolatrie, Schrift und Sternendienst: die drei Angelpunkte der Vorgeschichte des Weltbegriffs. Und diese drei Angelpunkte lassen sich zusammenfassen als Quellpunkte des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs.
Wo gibt es in der Schrift Erinnerungen an gesellschaftliche Naturkatastrophen, z.B. an Hungernöte (Buch Ruth, Josefsroman).
C. G. Jung hat insofern recht, als das, was er die Archetypen nennt, in der Tat etwas bezeichnet, was aufzuarbeiten ist: die Repräsentanten der Vergangenheit in unseren Köpfen. Aber das sind keine Bilder, die „Gott in unsere Seele gelegt“ hat (Drewermann).
Ist es nicht die Namengebung der Tiere, die Adam die Zunge löst, so daß er, als er Eva erkennt, sagen kann: Dies ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.
In welcher Beziehung steht die Inquisition zur Ohrenbeichte, mit der sie ja doch wohl historisch-genetisch zusammenhängt? Ist es nicht die Inquisition, die jenes Schuld- und Sündenverständnis erst durchsetzt, das dann Grundlage der Ohrenbeichte (Entschuldung der Welt, Privatisierung der Schuld) geworden ist?
Das kreisende Flammenschwert, das sinnlose Kreisen der Planeten und die Mühle, die alles zu Staub zermahlt.
Die Angst in Gethsemane war die Angst vor den Folgen dessen, daß er es nicht vermocht hat, die Sünden der Welt „hinweg“ zu nehmen.
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Und dieses Wort sitzt zur Rechten des Vaters. Ist nicht dieses Wort, das in der Übernahme der Sünde der Welt sich konstituiert, das Wort, von dem Gott will, daß es nicht leer zu ihm zurückkomme (Jes 5511)? Liegt hier nicht die zentrale Aufgabe der Theologie?
29.12.92
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