Thales hat recht: Alles ist ist Wasser; aber wurden diese Wasser nicht durch die Feste (die Gott dann Himmel nannte) in die oberen und unteren Wasser geschieden? Die Wasser oben und die Wasser unten: Sind das Prophetie und Philosophie, oder (unterm Bann der Philosophie) deren Spiegelung in den Begriffen Welt und Natur (die infolge dieser Spiegelung: nämlich aufgrund der damit verbundenen Seitenvertauschung, Rechts und Links nicht mehr zu unterscheiden fähig sind)?
Hitler war nicht der Antichrist, aber die Generalprobe (Karl Thieme): Mit der Verweltlichung der Welt ist in der Theologie eine Scheidung eingeleitet worden, die bis heute nicht begriffen worden ist, nämlich die Scheidung der theologischen Gehalte von der Herrschaftsmetaphorik, mit der sie durch die Tradition verschmolzen sind. Im Faschismus hat die religiöse Herrschaftsmetaphorik (die heute in den großen Buch-Religionen selber im Fundamentalismus sich zu reetablieren sucht) von ihrem theologischen Grunde sich gelöst und sich verselbständigt. Ist es nicht selber wiederum erschreckend, daß die Kirchen bis heute nicht fähig waren, im Faschismus das Spiegelbild ihrer eigenen Herrschaftsverstrickung zu erkennen (weil sie dem Schrecken davor nicht glaubten standhalten zu können)?
War nicht Adam Urheber und Zeuge jenes Teils der Schöpfung, der unter dem Namen des Sündenfalls überliefert worden ist?
Nirgends drücken die Rechtfertigungszwänge drastischer sich aus, als in dem Satz: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Dieser Satz gehört in den gleichen Zusammenhang wie der Wunsch der Kinder, nicht so zu werden wie ihre Eltern (oder auch wie das Argument: wenn mich meine Kinder einmal fragen: warum hast du nichts getan, dann will ich darauf antworten können). Das „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“ gehört zu einer Logik, der zufolge nicht die Tat, sondern das Erwischtwerden (durch die Außenstehenden: das „Ausland“, oder durch die Nachgeborenen: die Kinder oder die „Geschichte“) das Schlimmste ist.
Die List der Vernunft, das mögliche Urteil über das Handeln (die Rücksicht auf die Wahrnehmung der Anderen) zur Richtschnur des Handelns zu machen und durch die Antizipation dieses Urteils sich unangreifbar zu machen, steht unter dem Gesetz der Logik der Scham. (Hat diese Scham nicht etwas mit dem Schatten zu tun, den z.B. in den Naturwissenschaften das Inertialsystem auf die Dinge wirft?)
Zu den logischen Partikeln gehören auch das Und, das Oder, das Entweder/oder, das Aber, das Sowohl-als-auch, aber auch die Relativpronomen (als Derivate des bestimmten Artikels). Eines der verhängnisvollsten logischen Partikel ist das Ja, aber („Ich habe ja nichts gegen die Ausländer, aber …“).
Hat das Unkraut in den Evangelien die gleiche Bedeutung wie die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (und in den Anspielungen darauf in der ganzen hebräischen Bibel)? Stammen nicht die Unkrautvernichtungsmittel von dem gleichen Hersteller, der auch das Gas für Auschwitz geliefert hat?
Ist nicht der private Atombunker, den C.F. von Weizsäcker sich vor Jahren gebaut hat, fast schon der Beweis dafür, daß das Wort von der zivilen Nutzung der Atomkraft eine Rechtfertigungslegende der deutschen Atomphysiker nach dem Kriege war (der dann gelungene Versuch, von ihrer Beteiligung an der Entwicklung der Bombe in Deutschland abzulenken: vgl. die unterschiedlichen Versionen des Heisenberg-Besuchs bei Nils Bohr während des Krieges und die Folgen dieses Besuchs)? Aber hat dieser moralische Rechtfertigungslegende dann nicht auch ganz wesentlich zur Legitimation der „zivilen Nutzung“ der Atomkraft (deren Probleme doch eigentlich von Anfang an offen zutage lagen) beigetragen? Sind nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtfertigungszwangs die AKW’s mit Stammheim, Bad Kleinen (Hogefeld-Prozeß), Startbahn 18 West (und Startbahn-Prozeß) und schließlich mit der Entwicklung im Vatikan unter Johannes Paul II und Ratzinger vergleichbar?
War nicht schon die Weizsäckersche Formel der Sonnenenergie ein technischer Beitrag zur Entwicklung der Bombe?
Die Entwicklung der AKW’s (der „zivilen Nutzung“ der Kernenergie), die Ereignisse in Stammheim, an der Startbahn, in Bad Kleinen u.ä. sind Belege dafür, daß am Ende die Version als historische Wahrheit sich durchsetzt, die im Interesse der Herrschenden liegt. Und ist die „historische Wahrheit“, wenn man von ihrem Rechtfertigungszweck absieht, nicht fast schon gleichgültig: Werden diese Dinge nicht in jeder Version zu Belegen für die Wirksamkeit der geradezu irren und selbstzerstörerischen Logik des Rechtfertigungszwangs auf beiden Seiten und zu Instrumenten der Verhinderung einer Erinnerungsarbeit, die den freien Blick auf die Dinge überhaupt erst ermöglicht?
29.4.1995
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