Die semitischen und die indoeuropäischen Sprachen unterscheiden sich durch ihre Beziehung zur Zeit: Während die semitischen Sprachen handlungsorientiert sind (Konjugationsparadigma: Perfekt und Imperfekt, vollendete und unvollendete Handlung), orientieren sich die indoeuropäischen Formen der Konjugation am abstrakten Zeitablauf (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), an der Vorstellung des Zeitkontinuums, mit der unterstellt wird, daß die Zukunft wie die Vergangenheit sein wird. Im Hebräischen ist das Zeitkontinuum nur symbolisch präsent: im Bild der Schlange, der Dornen und Disteln und im Kelchsymbol. Eine der Folgen dieser sprachlogischen Differenz scheint zu sein, daß die semitischen Sprachen kein ausgebildetes Neutrum, aber auch die Begriffe Welt und Natur nicht kennen. Kann es sein, daß der Koran von der Bibel sich dadurch unterscheidet, daß er eine symbolische Repräsentation des Weltbegriffs nicht kennt und den Bestand der Welt durch einen permanenten göttlichen Eingriff garantieren muß (und müssen nicht aus den gleichen sprachlogischen Gründen die göttlichen Attribute all-bezogen reformuliert werden)? Im Islam erschafft Gott die Welt jeden Tag neu, wird die Welt zum Inbegriff des unmittelbaren göttlichen Handelns und der Islam, die Ergebenheit, zur sprachlogisch notwendigen Form der Beziehung der Menschen zur Welt. Die Islamisierung des Christentums ist nicht zufällig über die Opfertheologie, über das Theologumenon der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Christi (insgesamt: durch die den welthistorischen Prozeß der Verinnerlichung der Scham im Kontext der scholastischen Reformulierung der orthodoxen Tradition), gelaufen: Hierin gründen u.a. (zusammen mit den korrespondierenden organisatorischen und inhaltlichen Änderungen nach der Jahrtausendwende) die christliche Gnaden- und Sakramentenlehre (die Ritualisierung der christlichen Religion). Ist nicht der Faschismus ein Produkt der Islamisierung des Christentums? Die Philosophie beginnt mit dem Satz: Alles ist Wasser. Kann es sein, daß der Naturbegriff, mit dem die Philsophie sich entfaltet, das Tier aus dem Wasser repräsentiert, und der Weltbegriff das Tier vom Lande? Hängt nicht die Täuschung mit dem Tausch zusammen, und ist die Hegelsche List der Vernunft die Duftmarke des Tauschprinzips in Hegels Logik? Gibt es beim Fernando Belo als Folge seiner Interpretation der Reinheitsgesetze, in die er u.a. einen so unbiblischen Begriff wie den der „Reinheit des Bluts“ mit hereinnimmt, so etwas wie einen latenten Rassismus? Fällt diese Interpretation nicht unter das Blut-Tabu, das Verbot, Blut zu genießen? Die Familie ist nicht die Keimzelle, sondern die Isolationszelle des Staates. Insoweit hat die Familienbande auch etwas mit der „Baader-Meinhof-Bande“ zu tun. Getsemane: War die Angst nicht Ausdruck des Bewußtseins, daß sein „Opfer“ eine unermeßliche Folge anderer Opfer nach sich ziehen würde? Leidet das Christentum heute nicht generell an der Übersetzung der zentralen Symbole ins Banale (auch eine Gestalt der Banalität des Bösen, die im übrigen sehr viel mit der von Hannah Arendt beschriebenen zu tun hat)? Vgl. u.a. Belos „Im Anfang schuf Gott die Welt“ (mit der Stellenangabe Gen 1). War nicht die creatio mundi ex nihilo das möglicherweise verhängnisvollste Theologumenon in der Geschichte der Theologie? (Dazu noch eine andere Banalitätsstelle-Stelle?) Ließe sich die Revolution nicht als „Gericht der Barmherzigkeit“ (über das gnadenlose Weltgericht Hegels) definieren?
23.11.1994
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