3.12.1996

Ist die Feindbildlogik nicht schon durch die täterbezogene Regelung des Mordes im Strafrecht verankert? Welche Bedeutung hat es, daß nur hier die „Gesinnung“ als ein Tatbestandsmerkmal erscheint?
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland: Sind die strafrechtlichen Bestimmungen über den Mord der Kern der deutschen Staatsmetaphysik (und ist das Substantiv das grammatische Korrelat des Worts von Paul Celan)?
Nach der Schrift unterliegt schon die Tötung eines Menschen, nicht erst der Mord dem göttlichen Verbot. Für den Fall der versehentlichen Tötung eines Menschen gab es die Einrichtung der Asylstädte. Während die Tötung eines Menschen der Rache der Angehörigen des Getöteten überlassen blieb, setzt der Tatbestand des Mordes den Staat voraus; das Gewaltmonopol des Staates ist eigentlich das Produkt der Akkumulation und Monopolisierung der Rache durch den Staat. Der Satz: „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, ist gegen das Gewaltmonopol des Staates gerichtet.
Die Todesstrafe wird nach der Schrift vom Staat weder verhängt noch vollstreckt. Die in der Schrift vorgesehene Form der Todesstrafe ist die Steinigung, die von der Gemeinschaft vollzogen wird. Die erste durch den Staat vollstreckte Todesstrafe war die an dem pharaonischen Oberbäcker in der Josephsgeschichte, der gehängt wurde.
Ist das Opfer des Abel nicht ebenso anachronistisch wie die Tierfelle, die Gott den ersten Menschen nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies gibt, um ihre Blöße zu bedecken? Das erste Nahrungsgebot, das auch das Essen von Tieren erlaubt, ist das noachidische. Es ist ein Teil des noachidischen Bundes, zu dem auch die Zusage gehört, daß es eine Sintflut nicht mehr geben wird, und das Zeichen des Bogens in den Wolken.
Im Zentrum des Erkenntnistriebs ruht der Wunsch, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Das Ziel dieses Wunsches aber schließt auch den Zustand der Welt mit ein: Ich komme mit mir selbst ins Reine nur in einer Welt, in der es keine Not, keine Verfolgung, keine Gewalt mehr gibt, in der mit einem Wort Gerechtigkeit und Friede sich küssen (die gegenwärtige Gestalt der Beziehung von Gerechtigkeit und Frieden ist die der Unzucht).
Der Erkenntnistrieb bedarf der Sprache, er ist die erste Frucht der Liebe, mit der Gott die Seele weckt. Der Dank, mit dem die Seele auf diese Liebe antwortet, ist die Übung und Entfaltung ihrer prophetischen, messianischen, parakletischen Kraft: sind die Werke der Barmherzigkeit, die über das Gericht triumphiert.
Hat nicht die Trennung des Anschauens von der Sprache, der Untergang der Prophetie und die Gestalt des falschen Propheten, etwas mit der Geschichte des Himmels zu tun? Ist der Himmel dem offen, der in der Sprache „sieht“, und steckt in diesem Sehen die Erkenntniskraft des Namens? Haben die Funktion und die Bedeutung der Zahl 666, die „Verhärtung des Herzens“ Pharaos, aber auch der Traum des Nebukadnezar, etwas hiermit zu tun?
Durch die Trennung des Anschauens von der Sprache, durch die Vergegenständlichung der Welt, schrumpft die Sprache auf ihre instrumentellen Funktionen, auf Begriff, Information und Mitteilung, zusammen, verliert sie ihre kritische Kraft, die in der Logik des Namens gründet. Das wissenschaftliche Korrelat dieser Trennung ist die Linguistik: die Trennung der Sprache von der Sprache; ihr ökonomischer Motor ist der Markt, der in den Zwängen der Privatisierung, der Entpolitisierung der Herrschaft durch Verwaltung: der Herrschaft der Dingwelt und des versteinerten Herzens sich entfaltet und manifestiert. Der moralische Imperativ, der im Namen Gottes, in der noch ausstehenden Einheit der göttlichen Attribute gründet, ist in die Trägheits- und Sachzwänge der subjektlosen Dingwelt eingewandert. Dem korrespondiert die Utopie einer Welt, in der alle ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut.
Sind nicht die Parlamente längst zu Akklamationseinrichtungen der Verwaltungen und die Regierungen zu „willigen Vollstreckern“ der Marktgesetze geworden? Und bezieht sich nicht darauf das Wort von der „funktionierenden Demokratie“?
Veweist nicht der letzte Satz im Buch Jona, der auf die Fähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, sich bezieht, auf den Prozeß der Ablösung der Anschauung von der Sprache? Diese Beziehung zur Trennung von Anschauung und Sprache ist es, die die Einbeziehung des Königs und der Tiere in die Buße des Volkes erforderlich macht. Auch die Tiere müssen fasten: Das Drachenfutter ist ihnen zu verweigern (wenn die Schlange vom Staub lebt, dann muß Adam aufhören, zu Staub zu werden).
Die Sünde wider den Heiligen Geist ist die Sünde der Verhärtung des Herzens.
Ist nicht der denunziatorische „offene Brief“ der JU an den Bischof von Limburg das Gegenstück zum Begriff des „Selbstbezichtigungsschreibens“?
Wenn Heumann ein Wadenbeißer war, dann sind die Urheber des Angriffs auf Hubertus Janssen Pitbulls, Kampfhunde. Wadenbeißer greifen von hinten an, Kampfhunde frontal.
Im Inertialsystem des Rechts vertreten das Racheprinzip und die Feindbildlogik die transzendentale Ästhetik: die subjektiven Formen der Anschauung.
Das Trägheitsgesetz des Strafrechts läßt an dem Satz sich demonstrieren, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (dieser Satz repräsentiert zusammen mit den strafrechtlichen Bestimmungen über den Mord das Gesetz der Feindbildlogik im Recht).
„Mein ist die Rache, spricht der Herr“: Wenn Mizrajim der Eisenschmelzofen ist, dann ist der Gottesname, den der Pharao nicht kannte, das Feuer, das Rache in Barmherzigkeit umwandelt.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie