30.09.92

Horkheimers Bemerkung über das Christentum, es sei die menschenfreundlichste Religion, aber zugleich die Religion, in deren Namen die abscheulichsten Untaten begangen wurden, benennt zwei Seiten eines Sachverhalts. Das Bild von den zwei Seiten eines Blattes, die nicht von einander zu trennen sind, trifft diesen Sachverhalt genau. Aber könnte es nicht sein, daß die „Rückseite“ des Blattes sich überhaupt erst bildet zusammen mit der Instrumentalisierung der „Vorderseite“ (Zusammenhang von Leugnung des Angesichts und Konstituierung des Hinter dem Rücken). Zum Vergleich: Die Vorstellung des unendlichen Raumes verdankt sich dem unerfüllbaren und deshalb unendlichen Trieb (genauer seiner Unerfüllbarkeit), die ganze Welt von hinten (von außen) zu sehen; ähnlich wie sich die Vorstellung der unendlichen Zeit dem eben so unerfüllbaren Trieb, die Zukunft als vergangen zu sehen, verdankt: dies aber ist der Grund des Weltgerichts (der richtenden Gewalt der urteilenden Erkenntnis), aus dem der Weltbegriff sich herleitet, der seinen instrumentalen Gebrauch im Erkenntnisprozeß begründet.
Die kantischen subjektiven Formen der Anschauung, sind nicht einfach gegeben, sondern verdanken sich einem Reflexionsprozeß, in dem die ganze Geschichte der Philosophie drinsteckt; insbesondere der Prozeß der Vergegenständlichung der Zeit, die Konstituierung der Vorstellung eines homogenen Zeitkontinuums, war nur möglich durch die Vergegenständlichung der Raumvorstellung hindurch, und sie war nur möglich mit Hilfe von Mitteln, die der Raumvorstellung entnommen wurden, insbesondere mit Hilfe des Elements der Orthogonalität.
Die Frage, warum der Raum drei Dimensionen hat, ist ebenso unzulässig wie die andere, warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Zulässig ist vielmehr nur die Frage, was drückt sich darin aus. Allerdings wird man auch die an sich unzulässige Frage ein wenig weiterverfolgen müssen, weil sie auf den Reflexionszusammenhang führt, in dem sich die Vorstellung der homogenen Zeit bildet; die drei Dimensionen des Raumes spiegeln sich in den drei Momenten des Zeitbegriffs (Kontinuität, Folge und Zugleichsein). Aber hier handelt es sich um ein Reflexionsverhältnis, die Momente konstituieren sich wechselseitig; im Zentrum steht die grammatische Bildung des Futur II, ohne das es den philosophischen und theologischen Weltbegriff nicht geben würde. Dieser Weltbegriff hat sich im allgemeinen Bewußtsein niedergeschlagen (und vergesellschaftet).
Der Ursprung des philosophischen Naturbegriffs verweist (schon bei Thales) auf den des Wassers.
Der Schöpfungsbericht enthält die Lösung eines Problems, das wir als Problem überhaupt erst entdecken müssen.
Steckt in der Geschichte von dem einen unreinen Geist in der Wüste, der dann mit den sieben unreinen Geistern zurückkehrt, ein Hinweis auf das Verhältnis von Petrus und Maria Magdalena?
Enthält die Geschichte vom Aufdecken der Blöße des trunkenen Noah durch Ham einen Hinweis auf die Geschichte des Ursprungs des Geldes?
Im Fall wird das Individuelle übergangs- und reflektionslos zu einem Allgemeinen. Hierin konvergieren der erste Satz aus dem logisch-philosophischen Traktat Wittgensteins und die Rosenzweigsche Konstruktion des Weltbegriffs (B = A, zusammen mit der Kritik der idealistischen Umkehrung A = B, die den Weltbegriff der Reflexion entzieht).


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