Haben das unreflektierte Anschauen und die Reflexion des Gegenblicks etwas mit der Unterscheidung von kurzem und langem Gesicht (se’ir anpin und arich anpin, der Ungeduldige und der Langmütige, der streng Richtende und der Barmherzige, vgl. Scholem, Hauptströmungen, S. 296) in der Kabbala zu tun? Dann wären die Formen der Anschauung Instrument und Symbol der Ungeduld und des strengen Gerichts.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Äquivalent der Logik der Schrift im Subjekt. Die transzendentale Logik ist die logische Entfaltung dieser Formen.
Zur Ursprungsgeschichte des Neutrums: Das Neutrum (zusammen mit den es absichernden Formen der Konjugation) ist der Boden, aus dem der Objektbegriff erwächst (die erste sprachliche Gestalt der subjektiven Formen der Anschauung). Die am Präsens orientierten Formen der Konjugation sind das Modell und die Ursprungsgestalt der transzendentalen Logik.
In den sogenannten Staatsschutzprozessen wird der Grundsatz „in dubio pro reo“ so angewandt, als wäre der Staat der Angeklagte, von dessen Unschuld im Zweifelsfalle auszugehen ist. Alle Verfahren laufen so, als ob im Grunde alle wüßten, daß der Staat schuldig ist, während jedoch zugleich das Recht als Instrument eingesetzt wird, dieses Wissen in sich selbst und in den Andern zu unterdrücken. Nur in diesem Zusammenhang macht der Titel „Staatsanwalt“ Sinn. Zugleich wird der Zweck der Robe deutlich: Die Robe, das sind die Bäume, unter denen Adam, nachdem er erkannt hatte, daß er nackt war, sich versteckte; ohne Robe wären Ankläger und Richter nackt.
Auf die Frage, ob sie bei der Eidesleistung von der religiösen Eidesformel Gebrauch machen wolle, fragte heute eine Zeugin den Richter: „Wie ist es denn hier üblich?“
Daß die Justiz auf dem rechten Auge blind ist, ist nicht (personalisierend) als Gesinnung zu kritisieren, sondern aus ihrer Wurzel abzuleiten: aus der Bindung der Justiz an eine Staatsmetaphysik, in der am Ende die Gewalt des anklagenden Prinzips auf ihren Urheber zurückschlägt. Der zugrunde liegende Sachverhalt drückt sich in dem Titel Staatsanwalt aus. Ist nicht der Staatsanwalt der Verteidiger des Staats, und gehört nicht zur Vorgeschichte des Staatsanwalts das kirchliche Institut der Inquisition, deren Aufgabe es war, die Kirche gegen die Angriffe der Ketzer zu verteidigen?
Wenn die Generalbundesanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt ist, dann ist die Deutsche Bundesbank die vom Eigeninteresse freieste. Die Geschichte des Rechts und des Staates ist in der Tat von der Geschichte des Geldes und der Banken nicht zu trennen.
Je weniger die Politik in der Lage ist, Konflikte zu lösen, umso mehr muß sie nach außen den Eindruck erwecken, sie allein täte es. Das Gewaltmonopol des Staates löscht die benennende Kraft der politischen Sprache: Es ersetzt die Notwendigkeit der konkreten Begründung politischen Handelns durch Reklame, Geschwätz.
30.1.1995
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