30.10.95

Marx hat einmal davon gesprochen, daß der Staat im Falle der Verwirklichung der klassenlosen Gesellschaft, den Kommunismus, absterben wird, eine logische Folge der Aufhebung des Privateigentums, als dessen gesellschaftliche Organisationsform der Staat sich definieren läßt. Ein spätes, verzweifeltes Echo des Marxschen Worts vom Absterben des Staats war Bölls Bemerkung über den verrotteten und verfaulenden Staat, ein Wort, das, wenn ich mich richtig erinnere, im Deutschen Herbst 1977 gefallen ist. Aber ist es nicht genau dieser Prozeß des Verrottens und Verfaulens, dem wir heute beiwohnen: ein Prozeß, in dem der Staat die Fähigkeit, die Kraft und den Willen verliert, die blinden Naturkräfte des Eigentums, anstatt ihnen bloß zu gehorchen, im Interesse einer humanen Gesellschaft zu organisieren?
Wiederkehr des Barock: Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ist eine logische Konsequenz aus der Privatisierung des Staates, den die Parteien längst sich „unter den Nagel gerissen“ haben, wie ihr Privateigentum behandeln. Nur der privatisierte Staat hat eine Intimsphäre, in der er nackt sein darf, braucht eine „Geheimsphäre“, um seine Blöße zu bedecken: einen der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich. Zugleich wird die Öffentlichkeit zu einem Appendix des Privaten, zu deren Logik es fast keine Alternative mehr zu geben scheint. Sie wird zum Fernsehereignis, das zur Inkarnation der Logik des Privaten geworden ist.


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