Verdacht und Unterstellung sind Mittel der politischen Auseinandersetzung, zu deren Prämissen die Erfahrung gehört, daß Politiker nicht die Wahrheit sagen, daß man auf die Wahrheit erst stößt, wenn man die Reden der Politiker auf die politische Realität und die darin wirksamen realen Interessen bezieht. Die Tauschwert-Metaphorik ist ein Hinweis: Die realen Ziele und Interessen sind Waren, in deren Kontext politische Reden zur Reklame werden, mit deren Hilfe diese Waren allein sich verkaufen lassen. Die Unterscheidung von Information und Meinung ist durchs Tauschprinzip vermittelt. Sie begründet und beschleunigt einen Prozeß, in dem am Ende niemand mehr weiß, was er tut.
Leer, gereinigt und geschmückt: Meinungen verzichten darauf einzugreifen, sie kommentieren nur.
Hat das Wort am Kreuz: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, nicht eine gewaltige prophetische Kraft, die sich andeutet im letzten Vers des Buches Jona, in dem Wort von den 120000, die „Rechts und Links nicht unterscheiden“ können? Liegt nicht eine der tiefsten Bedeutungen des Kreuzestodes darin, daß es alle, die sich nicht unters Nachfolgegebot stellen, weil sie die instrumentelle Nutzung des Kreuzestodes im Kontext der Opfertheologie nicht aufgeben wollen (die den Imperativ hierin nicht erkennen): daß es das ganze geheuchelte Christentum in dieses Nichtwissen verstrickt? Ist nicht das Kruzifix, das nekrophile Symbol derer, die ihn immer wieder ans Kreuz nageln, der genaueste Ausdruck dieser Verstrickung?
Mein ist die Rache, spricht der Herr: Die Wahrheit der Theologie läßt sich an ihrer Beziehung zur Rache erkennen: Während die Religionen den Rachetrieb instrumentalisieren (die Bekenntnislogik und ihr apriorisches Objekt, das Feindbild, gründen in dieser Instrumentalisierung der Rache), ist die Auflösung des Rachetriebs in der Erkenntnis des Namens Gottes ein Gradmesser der theologischen Wahrheit.
Orthographie als Instrument der Anpassung und Disziplinierung: Wird nicht die Ausdrucksfähigkeit der Sprache, ihr intelligibles und kreatives Potential, eingeschränkt, wenn sie Regeln unterworfen wird, die nicht aus der Sache sich herleiten, sondern aus dem beschränkten Verstand der Pädagogen? Die berüchtigte Deutschlehrerfrage „Was hat der Dichter sich dabei gedacht“, die jedes Interesse an der Literatur austreibt, beweist nur noch, daß ein Bewußtsein von einer eigenen Kraft, einem eigenen Wesen und einer eigenen Logik der Sprache, in denen ihre Fähigkeit, die Sache zu begreifen und auszudrücken, begründet ist, aus dem Unterricht längst vertrieben und entwichen ist. Die „Rechtschreibreform“ wird erst dann eine sein, wenn sie die Rechtschreibung, die Grammatik wie auch die Orthographie, endlich der experimentellen und kreativen Nutzung durch die sich bildende Intelligenz der Schüler freigibt. Grammatische Regeln, die als äußerliche Normen auf die Sprache sich beziehen, lassen sich heute nur noch formulieren, wenn zugleich die eigene Logik der Sprache unterdrückt und verdrängt wird. Sie sind ein Mittel, die Erkenntnis, auf die es ankäme, zu verhindern.
Gibt es nicht Hinweise darauf, daß die gegenwärtige Sprachforschung (die Linguistik) ihre Hauptaufgabe darin zu sehen scheint, die sprachhistorischen Probleme der Grammatik (das Ursprungsproblem des Begriffs) und die sprachlogischen Probleme des Wortes (das Problem der Logik des Namens) zu verdrängen?
30.9.1995
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