Rätsel Paulus: Allein bei ihm „kosmologische“ oder „naturphilosophische“ Spekulationen: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tage seufzt und in Geburtswehen liegt“ (vgl. Röm 818ff), sowie: „Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit … hat (seine Kraft und Stärke) an Christus erwiesen, den er von den Toten auferweckt und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat, hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen genannt wird.“ (Eph 117ff) „So sollen jetzt die Fürsten und Gewalten des himmlischen Bereichs durch die Kirche Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes, nach seinem ewigen Plan, den er durch Christus Jesus unseren Herrn, ausgeführt hat.“ (ebd 310) „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (ebd. 612) – Ist die paulinische Theologie „kabod“-Theologie, Herrlichkeits-Theologie? Und hat sie die damit gemeinsamen Probleme? Ist das „über jeden Namen“, mit dem er den „Platz zu seiner Rechten“ bezeichnet, nicht wie die kabod-Theologie insgesamt zu ergänzen durch die schem-, die Namens-Theologie (hängt der Unterschied zwischen beiden mit dem zwischen den Gottesnamen zusammen, d.h. ist der Unterschied einer in der Namens-Theologie)? Steht die paulinische Theologie unter dem Gesetz der Objektivation (deshalb Paulus der erste, der die Theologie Jesu durch eine Theologie über Jesus ersetzt, deshalb Bekenntnis-Theologie, deshalb frauenfeindlich)? Paulus war nur in den dritten Himmel entrückt (Kor 212), während Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern befreit wurde (Mk 169, vgl. Mt 1243ff, Lk 1124ff).
Gegen den christlichen (paulinischen: von der Bekenntnislogik nicht ablösbaren) Missionsbegriff: Es kann und darf nicht mehr unsere Aufgabe sein, „Überzeugungsarbeit“ zu leisten; denn die führt genau in jene Mechanismen herein, aus denen die Idee der Wahrheit herausführen soll. Die Bekenntnislogik steckt den anderen nur deshalb ins Ghetto hinein, weil sie selber freiwillig sich hineinbegeben hat: die Kirche ist das Urghetto.
Sind solche Dinge wie die Göttlichkeit Jesu, die Opfertheologie, der spätere Naturbegriff und der Ursprung der Kunst Konsequenzen der kabod-Theologie, die eigentlich eine Theologie des „unglücklichen Bewußtseins“ ist, das den Ursprung seines Unglücks und seiner Verzweiflung in den Inbegriff der Herrlichkeit umlügt? Der Begriff des Schönen entspringt genau an diesem Punkt.
Ist kabod die Rückseite Gottes, die Moses schauen durfte?
Ist der Name Paulus vom römischen Bürger Saulus nach seiner Bekehrung gewählt worden, um damit auszudrücken, daß er der „Geringste“ sei, gleichsam der Vertreter, der Repräsentant der Armen und der Fremden; mit der dann nicht ungefährlichen Wendung, wonach die Kirche den Armutstitel für sich in Anspruch genommen, ihn den realen Armen entwendet und damit zum Symbol gemacht hat, an das die Mechanismen des Selbstmitleids, der Bekenntnislogik gleichsam zwanglos sich anschließen konnten? Dazu würde die im Katholizismus dann zur Orthodoxie erhobene kabod-Theologie und die Verwerfung der schem-, der Namenstheologie passen. Und die Geschichte der Kirche wäre dann die bewußtlose Abarbeitung der kabod-Theologie (die die naturwissenschaftliche Aufklärung mit einschließt): im Nachhinein gesehen, die Geschichte der drei Verleugnungen.
Das Ich ist ein Produkt der sieben unreinen Geister.
Wäre das „Schwerter zu Pflugscharen“ nicht zuerst auf die Kerubim mit dem kreisenden Flammenschwert zu beziehen?
Die Grund-Beziehung und die Zweck-Beziehung sind nicht voll identisch. Wird die Grund-Beziehung durch die Zweck-Beziehung ersetzt, so erfüllt das genau den Tatbestand der Instrumentalisierung. Der Satz „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“ wird unwahr, wenn man ihn umkehrt: Um mein Leben zu retten, will ich es verlieren. Das Verfahren der Umkehr, der Verwandlung von Grund-Beziehungen in Zweck-Beziehungen ist auf der Subjekt-Seite die List, objektiv die Gemeinheit. Gegen das Prinzip der Umkehrbarkeit steht das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Die Schuldknechtschaft und die Reversibilität von Grund- in Zweck-Beziehungen. Durch die Verräumlichung der Natur werden alle Dinge dem Kausalitätsprinzip unterworfen, der Zweckbegriff subjektiviert, die Natur für subjektive Zwecke verfügbar gemacht. Grund ist die Reversibilität aller Prozesse im Raum, diese Reversibilität wiederum ist der Grund der Gemeinheitsautomatik und die Vernichtung des parakletischen Denkens. Sie ist die Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann.
Das proton pseudos des Inertialsystem ist die Vorstellung, die Prozesse in ihm seien (wie die Richtungen im Raum) umkehrbar. Diese Vorstellung ist durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit widerlegt. Sie ist ebenso falsch wie die Vorstellung, das Im Angesicht und das Hinter dem Rücken seien nicht unterscheidbar. Diese Vorstellung ist der ontologische Grund der Gemeinheit (und den wollte sich die Kopenhagener Schule nicht aus der Hand schlagen lassen).
Die Lokomotive, die dem Abgrund zurast, ist führerlos, es gibt in ihr nur noch Passagiere, Heizer und Schaffner; die Mitfahrenden werden abgelenkt durch das Angebot, dem eigenen Untergang zuschauen zu dürfen. Sind wir nicht durch das Schauspiel so fasziniert, daß wir nicht mehr in der Lage sind, den Punkt überhaupt noch ins Auge fassen zu können, von dem aus das Ganze vielleicht doch noch zum Halt, wenn schon nicht zum Wenden zu bringen wäre?
31.10.91
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