Die Scham ist ein Instrument der Externalisierung der Schuld: Der Sich-Schämende stiehlt sich fort aus dem Blick der Urteilenden, aus dem Gesichtsfeld der Sprache der Andern, er verbirgt sich „unter den Bäumen“. Die Verurteilung des Andern, die in ihm die Scham hervorruft, ist selber eine Äußerung der Scham: Die Kollektivscham war der Anfang der kollektiven Verurteilung des Faschismus, die die Voraussetzung für seine Reproduktion geschaffen hat. Der Begriff der Kollektivscham hat die Faschismus-Kritik ins Herrendenken zurückgeführt (ähnlich wie die Kopenhagener Schule das erkenntniskritische Potential der Einstein’schen Theorie in ein neues Konstrukt der Naturbeherrschung).
Scham ist der Quellpunkt des Inertialsystems, der Geldwirtschaft und der Bekenntnislogik. Die Scham versucht, das Innere, in das nur Gott sieht, unsichtbar zu machen (ist das Präfix be- die schamerzeugende Gewalt in der Sprache?).
Scham ist der Versuch, sich dem Blick der Sprache (der erkennenden Kraft des Namens) zu entziehen: Die Scham bezeichnet den blinden Fleck der Sprache, der sie zu einem Instrument der Information und Kommunikation macht. Die Scham bezeichnet die (durch den Begriff produzierte) Grenze des Objekts zum Begriff: Sie ist der Statthalter des Begriffs im Objekt.
Die „heile Welt“ ist eine Emanation der Scham, der Versuch, sich komfortabel im Objektsein einzurichten: sie ist der Innenraum des in den Abgrund rasenden Zuges. Die Lokomotive, die diesen Zug vorwärtstreibt, wird angetrieben durch den Verurteilungsmechanismus, der der Erinnerung den Weg verstellt (die Feindbildlogik). Die Schiene, auf der dieser Zug sich bewegt, ist die Zeitschiene (das „Überzeitliche“, die Vorstellung des Zeitkontinuums). Der Abgrund, auf den er sich zubewegt, ist die Vergangenheit, vor der er flieht, und die in dieser Flucht als vor ihm sich öffnender Abgrund sich reproduziert (horror vacui: Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; Natur ist die in die Vergangenheit projizierte Schöpfung).
Daß die Kommunikationstheorie ihre wichtigsten Ergebnisse in der Schizophrenieforschung gewonnen hat, hätte eigentlich vor ihrem affirmativen Gebrauch, den Luhmann und Habermas glaubten begründen zu können, warnen müssen.
Habermas: Second-Hand-Philosophie.
31.12.1996
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