Wenn Marx den Ursprung des Geldes aus dem Tauschverhältnis herleitet, stellt er seine Analyse dann nicht doch auf die im kantischen Sinne „weltliche“ Seite des Verhältnisses ab, und verdrängt er nicht die naturale Seite, die in der Schuldknechtschaft gründet?
„Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Enthält der Ausdruck, ein Kind sehe „wissend“ aus, nicht auch die Wahrnehmung, daß es sein Vertrauen in die Eltern verloren hat? Und hat diese Wahrnehmung nicht weitreichende Implikationen und Konsequenzen; gründet nicht die gesamte Wissenschaft (und der Totalitätsbegriff des Wissens selbst) in der Abstraktion von diesem „Vertrauen“? Aber ist nicht umgekehrt diese Abstraktion vom Vertrauen, die eine Kindheit (durchs Wissen) zu zerstören vermag, auch wiederum notwendig und unvermeidbar: Alle Initiationsriten beziehen sich hierauf, wie auch das Erwachsenwerden ohne diese Abstraktion nicht gelingt; und ist nicht die Schule die formalisierte Einübung in diese Abstraktionsfähigkeit? Hinzuzufügen wäre nur, daß es eigentlich nur der Reflexionsfähigkeit bedarf, um den Eingriff dieser Abstraktion zu humanisieren. Das „Ja und Amen“, das J.B.Metz auf die „Welt“ bezieht (deren Begriff in der Abstraktion vom kindlichen Vertrauen gründet), bezieht sich an Ort und Stelle (im Korintherbrief) auf die göttlichen Verheißungen, heißt das aber nicht: auf ein durch die Abstraktion vermitteltes, wiederhergestelltes Vertrauen? Aber dieses „Ja und Amen“ ist ein aktives, gleichsam autonom gewordenes Ja und Amen; es erfüllt sich im Tun des Gebotes „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“. Die Welt nämlich ist unbarmherzig.
Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Meisters. (Jes 13, Buber-Übersetzung)
Zum Begriff der Versöhnung: Das Opfer kann sie gewähren, der Täter aber nicht einfordern. War es nicht der Konstruktionsfehler im Sakrament der Beichte, daß es das Opfer seiner Kompetenz zu vergeben beraubt und diese Kompetenz der kirchlichen Sakraments- und Gnaden-Verwaltung zugeeignet hat? Die Kirche hat mit Rind und Esel gemeinsam gepflügt. So wurde die Sünde zu einem Problem zwischen der isolierten Seele und Gott (mit der Kirche als vermittelnder Instanz); das Opfer und die Welt werden ausgeblendet, sie bleiben unversöhnt draußen. Das hat den Weg zur Bekenntnistheologie und zur Rechtfertigungslehre freigemacht.
In theologos: Auschwitz muß in jeder Hinsicht davor geschützt werden, als stellvertretendes Opferleiden mißbraucht zu werden. Aber galt das nicht auch schon seit je für den Kreuzestod Jesu, dessen opfertheologischer Mißbrauch jetzt, nach Auschwitz, vollends blasphemisch geworden ist? Heute wird Getsemane wichtiger als der Kreuzestod: mit dem Schlaf der drei „Säulen“, dem „Wachet und betet“ und dem Kelch.
Bezeichnet der Begriff der Schöpfung eigentlich den selben Sachverhalt wie das hebräische bara? Und ist das Konzept einer creatio mundi ex nihilo nicht eine Kompromißbildung?
Wenn die Wissenschaften ihrem eigenen Entwicklungsgesetz sich überlassen, verlieren sie sich im leeren Unendlichen (vgl. neben Astronomie und Mikrophysik die Biologie und die historische Grammatik).
Sind nicht Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie Hinweise darauf, daß je nach Kontext das Inertialsystem in sich selbst noch zu differenzieren ist. Verhalten sich nicht Gravitationstheorie und Elektrodynamik wie Esel und Rind, Last und Joch?
Die Materie bezeichnet das Schuldmoment an den Dingen, durch das sie dem Naturgesetz unterworfen sind.
Greuel am heiligen Ort: Heute wollen alle bloß frei sein von Schuldgefühlen, das aber heißt: frei sein von der Gottesfurcht, und dazu mißbrauchen sie die so blasphemisch gewordene Religion. Diese Religion ist nur noch ein Exkulpationsautomat, mit hochexplosiven gesellschaftlichen Folgen.
Am Ende des ersten Stücks im „Geist der Utopie“ heißt es: „Diesen (sc. den utopisch prinzipiellen Begriff, H.H.) zu finden, das Rechte zu finden, um dessenwillen es sich ziemt zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu haben, dazu gehen wir, hauen wir die metaphysisch konstitutiven Wege, rufen was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das Tatsächliche verschwindet – incipit vita nova.“ Zu den handschriftlich unterstrichenen Worten „bauen ins Blaue hinein“ findet sich in dem mir vorliegenden Exemplar aus dem Nachlaß von Heinrich Scholz die ebenfalls handschriftliche Randbemerkung: „scheint so“ (der nur wenige Seiten später dann eine ins Antisemitische eskalierende Bemerkung folgt: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um derlei Zeug zu verstehen“).
Die Tempelreinigung: Sind die Geldwechsler und die Taubenhändler nicht die Banken und die Kirchen? Markus ergänzt die Geschichte noch durch den Satz „und ließ es nicht zu, daß jemand ein Gefäß durch den Tempel trug“, während Johannes, die Stelle an den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu rückt (nach der Hochzeit in Kana), zu den Taubenhändlern noch die Verkäufer von Ochsen und Schafen nennt.
Die kantische Erkenntniskritik ist der Beginn der Selbstreflexion der richtenden Gewalt, die den historischen Erkenntnisprozeß durchherrscht (hierzu Reinhold Schneider: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häupten aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“).
Bietet der Satz von Rind und Esel nicht auf eine Hilfe zur Lösung des Problems der Fälschungen im Mittelalter? Das moralische Urteil (zu dessen Grundlagen die Historisierung des Vergangenen gehört) verstellt der Erkenntnis nur den Weg, während es darauf ankäme, die Zwangslogik, die den Vorgang beherrscht, endlich zu durchschauen: Auch diese Zwangslogik (die Logik des Rechtfertigungszwangs) gehört nämlich zu den nicht vergangenen Vergangenheiten, zu den Fundamenten der Gegenwart, in denen die Vergangenheit überlebt. Ist nicht die Logik der Fälschungsgeschichte zu einem Strukturelement der Aufklärung selber geworden, in die Strukturen der projektiven Erkenntnis und der modernen gesellschaftlichen Institutionen mit eingegangen (unterscheiden sie sich nicht gerade hierdurch von der Form der antiken Institutionen)? Und steckt nicht in der moralischen Empörung über diese „Fälschungen“ selber ein projektives, vom Rechtfertigungszwang erzeugtes Moment, das seine Erkenntnis verhindert? Gehören nicht die Fälschungen zusammen mit der Sage und der Legende zur Vorgeschichte der historischen Aufklärung wie die Astrologie zur Vorgeschichte der Astronomie gehört und die Alchimie zur Vorgeschichte der Chemie? Wie verhalten sich die Fälschungen zum vorausgehenden symbolischen Erkenntnisbegriff der Theologie? Gibt es einen inhaltlich bestimmbaren abgegrenzten Bereich (institutionelle Legitimation von Eigentumsrechten und Herrschaftsansprüchen), auf den die Fälschungspraxis sich bezieht (ihr Ort waren wohl die Schreibwerkstätten in den Klöstern und kirchlich-politischen Kanzleien)? Gehören nicht die Inquisition (die projektive Paranoia, die die Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung begleitet) und die Geschichte der Eucharistie-Verehrung (opfertheologischer Ursprung des Dingbegriffs als Teil der Ursprungsgeschichte des Inertialsystems; vgl. hierzu die Jericho-Geschichte, das Verbot, die zerstörte Stadt wieder aufzubauen und der mit dem Aufbau verbundene Fluch über die Erstgeburt und den jüngsten Sohn des Wiedererbauers) zu den Folgen der Fälschungsgeschichte und die Ausformung des katholischen Mythos, das Fegefeuer, die Ohrenbeichte, das Zölibat zu ihren Voraussetzungen (Zusammenhang mit der Geschichte der Legitimation der Gewalt, die ihre „naturwüchsige“ Qualität verliert, und der Verinnerlichung der Scham, beides Momente der institutionellen Selbstlegitimation, die im Inertialsystem in den Naturbereich sich ausdehnt)?
Hängen nicht die Fälschungen des Mittelalters mit einer frühen Phase der nominalistischen Aufklärung (den Anfängen einer aufgeklärten, historisierenden Bibel-Kritik, zu deren Vorläufern die Historisierung der Bibel seit Flavius Josephus gehört) zusammen? Die in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus und zur Vorgeschichte Hitlers gehörenden projektiven Rekonstruktionen der altorientalischen Geschichte sind späten Folgen der Historisierung der Bibel.
Das Barock hat die Bibel endgültig ins Erbauliche transformiert. Die Allegorie war das Instrument dieser Transformation (und nach Walter Benjamin der Totenkopf die Urallegorie). Gibt es einen Zusammenhang der Allegorie mit dem Nominalismus und der Eucharistie-Verehrung? Und war nicht die Transformation ins Erbauliche die Grundlage (der Hintergrund) für die historische Bibelkritik? (Hier wird das Daniel-Motiv – den Traum, den Daniel erklären soll, muß er zuvor erst finden – durch die Erfindungen des Traums, durch Fälschung, auf den Kopf gestellt.)
Wie hängt Kafkas Schauspieldirektor („er wechselt die Windeln des künftigen Hauptdarstellers“) mit dem Problem des Hahns zusammen?
Ist die Trennung von Wer und Was (von Feuer und Wasser) in der Konstruktion des Inertialsystems mit enthalten? Nicht zufällig führt die newtonsche Begründung des kopernikanischen Systems zum Deismus. Mit der Subsumtion des Falls unters Inertialsystem, mit seiner Neutralisierung im Gravitationsgesetz (mit der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen), ist die qualitative Unterscheidung von Oben und Unten auch neutralisiert: eigentlich das Inertialsystem als ein objektives System überhaupt erst begründet (oder aus seiner Vorstufe, dem Neutrum, erzeugt) worden. Gehört das Wasser zur Beziehung von Rechts und Links und das Feuer zu der von Oben und Unten (wie das Angesicht zu der von Vorn und Hinten)? Das aber heißt: Steckt im Wasser die verdrängte Kraft des Namens, wird die Urteilsform (der „Grund“ der Welt), werden Objekt und Begriff aus dem Wasser „geschöpft“, und ist das Nichts der Schöpfungslehre das Wasser (das Nichts des Begriffs)?
Hängt das hebräische esch/Feuer mit dem isch/Mann zusammen (wie das majim/Wasser mit dem ma/was)? Gibt es ähnliche etymologische Beziehungen bei dem griechischen und lateinischen Namen des Feuers (… und ignis)?
Hängen der griechische Pan (der Gott des mittäglichen Schreckens) mit dem lateinischen panis (Brot) zusammen? Hat der Pan etwas mit dem Schrecken Isaaks zu tun? Steckt im Pan der Schrecken des neutralisierten Angesichts (die Erfahrung des Angesichts in einer vom Neutrum beherrschten Sprache: das Angesicht des Hundes)?
Zwischen dem Brot und dem Korn steht die Mühle: Simson muß als Gefangener der Philister die Mühle drehen. In der Apokalypse ist die Rede von einer Stadt, in der der Gesang, das Geräusch der Mühle und die Stimme von Bräutigams und Braut nicht mehr gehört werden.
4.3.1995
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