5.12.1996

Bericht der FR über ein Schreiben der RAF zum „Aussteigerprogramm“ („RAF sagt nein zum Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes“):
– Danach lehnt die RAF das Aussteigerprogramm u.a. deshalb ab, weil „damit … RAF-Mitglieder dazu gebracht werden (sollen), ’sich zum Werkzeug des Staatsschutzes zu machen und so nicht nur ihre GenossInnen, sondern auch ihre eigene Geschichte zu verraten’“. Die Formulierung zeigt, daß, was ohnehin seit langem zu erkennen ist, der RAF heute die „eigene Geschichte“ wichtiger ist, als die eigenen GenossInnen. Sie sind wirklich nur noch Gefangene ihrer Geschichte, damit aber unfähig geworden, die Ziele, für die sie vorgeben sich einzusetzen, überhaupt noch wahrzunehmen, denn das würde die Fähigkeit zur Reflexion – und zwar zur öffentlichen Reflexion – der eigenen Geschichte mit einschließen. Deshalb mußte z.B. Birgit Hogefeld, die damit einen Anfang gemacht hat (der auf das Urteil über sie keinen Einfluß hatte) auch von ihren eigenen GenossInnen ausgegrenzt werden. Wie es scheint, sieht die RAF zu den Rechtfertigungszwängen, unter denen sie steht, keine Alternative mehr.
– Der Satz, daß die Entscheidung Christoph Seidlers, für die die RAF Verständnis bekundet, gleichwohl „nicht einfach in Ordnung“ sei, erscheint begründet, hat aber auch die fürchterliche Konsequenz, daß hier die Forderung nach Solidarität von einer Beziehung, die der Geiselnahme der eigenen GenossInnen gleicht, fast nicht mehr sich unterscheiden läßt. Will die RAF wirklich den Hinweis auf das mögliche Handeln der Staatsschutzorgane als Mittel der Erpressung gegen GenossInnen, die „aussteigen“ wollen, verwenden (wobei offenkundig ist, daß das zur Intention des Aussteigerprogramms gehört, das nur die „Kronzeugenregelung“, den Verrat als Ausweg offenläßt)?
– „Sicherheitsexperten … (wunderten) sich darüber, daß in dem Schreiben nicht auf das Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld eingegangen wurde“ (Hervorhebung von mir):
. Daß sie sich darüber wundern, ist entweder Heuchelei oder Dummheit. Der Grund, weshalb Birgit Hogefeld nicht erwähnt wird, ist dem Schreiben zu entnehmen: Sie hat nach Auffassung der RAF mit ihren Erklärungen in dem Prozeß gegen sie die „eigene Geschichte (gemeint ist die Geschichte der RAF, H.H.) verraten“.
. Im übrigen war das Urteil kein „Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld“, sie hat sich nicht selbst verurteilt, sondern es war ein Urteil gegen sie. Diese Formulierung paßt zu einem Begriff, der neuerdings im Wortschatz der Bundesanwaltschaft wie auch der Medien auftaucht, wo aus Bekennerschreiben „Selbstbezichtigungsschreiben“ werden. Hier wird durch die Sprachlogik unterstellt, daß die RAF und ihre Mitglieder sich selbst anzeigen („bezichtigen“) und dann auch verurteilen, daß das Staatsschutzverfahren eine unschuldige Maschine ist, die von Menschen bedient werden, die, wenn sie sich an die Bedienungsregeln halten, mit dem, was sie tun, nicht mehr sich zu belasten brauchen. Eine Maschine ist nicht kritisierbar, sie ist nicht ansprechbar und nicht reflexionsfähig, sie ist nur brauchbar oder unbrauchbar. Nur: Das Recht mag maschinell herstellbar sein, die Gerechtigkeit, zu deren Idee das „rechtliche Gehör“, und das heißt: eine sprachliche Beziehung des Gerichts zum Angeklagten, der Versuch, ihn zu verstehen, gehört, diese Gerechtigkeit, zu deren Hervorbringung eine Maschine nicht fähig ist, ist es nicht. Die Verweigerung dieses „rechtlichen Gehörs“, oder auch die darin begründete moralische Enthemmung des Rechts, die den Angeklagten zum Feind macht, drückt in einem Begriff wie „Selbstbezichtigungsschreiben“ und in einer Wendung wie „das Urteil der ehemaligen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld“ sich aus.
Die Materie ist der Ausdruck der Verschuldung der Dinge (vgl. hierzu den Hinweis auf die Verschuldung der Banken bei Dirk Baecker, S. 60).
Die Währungshoheit ist der Ausdruck der Verschuldung des Staates, die über die „Kreditschöpfung“ der Banken privatisiert wird.
Die verwaltete Welt ist eine Maschine, in der jeder seine Pflicht tut, aber keiner mehr weiß, was er tut. Hat das nicht etwas mit den Planetenbahnen zu tun, deren Notwendigkeit den anderen Sachverhalt nicht aufhebt, daß die Wege der Planeten Wege des Irrtums sind?
Gehorchen nicht auch die RAF-Prozesse der Logik der Privatisierung, und liegt in dieser Logik der Privatisierung nicht der ökonomische Grund der Feindbildlogik, der moralischen Enthemmung und Entpolitisierung auf beiden Seiten, auf der des Staatsschutzes wie auf der des Terrorismus?
Das technisch-positivistische Rechtsverständnis, Korrelat der logischen „Privatisierung“ des Rechts, ist das offene Tor, durch das die moralische Enthemmung des Rechts ins Recht eindringt und die Gerechtigkeit aus dem Recht ausgetrieben wird.
Beginnen nicht der Staatsschutz und die RAF, sich jetzt endgültig spiegelbildlich einander anzugleichen? Unterliegen nicht beide Seiten dem Gesetz der fortschreitenden Entpolitisierung?
Der Vorrang der eigenen Geschichte, die „nicht verraten“ werden darf, vor den GenossInnen, die dann zu Geiseln des Zwangs werden, der von der Unfähigkeit ausgeht, die eigenen Geschichte zu reflektieren, gründet in der Verwechslung von Reflexion und Verrat, deren Opfer Birgit Hogefeld geworden ist.
Das Stichwort „Verrat der eigenen Geschichte“ ist das logische Pendant des Begriffs „Selbstbezichtigungsschreiben“. Beide verweisen auf den Hogefeld-Prozeß und konvergieren in ihm. Der Hogefeld-Prozeß konnte nur als Justiz-Maschine laufen, in der ihre Erklärungen (als Varianten der „Selbstbezichtigung“) ins Leere verhallten, und die gleichen Erklärungen haben die RAF zu einer Entscheidung gezwungen, der sie nicht gewachsen war: Anstelle des Wegs in die politisch-moralische Selbstbefreiung durch Reflexion der eigenen Geschichte hat sie die Dogmatisierung des Rechtsfertigungszwangs gewählt, die Verwerfung der Reflexion als „Verrat der eigenen Geschichte“.
In den gleichen Kontext gehört der Angriff auf Hubertus Janssen, der ebenfalls von beiden Seiten erfolgte: Auch er sah sich plötzlich sowohl als Agent des Staatsschutzes wie als Unterstützer der RAF.
Zu den zentralen inneren Problemen der RAF gehört ihre Unfähigkeit, den Wirkungszusammenhang von Sprache und Ökonomie, die Abhängigkeit der Sprachlogik von der Logik, die in der Geschichte der Ökonomie sich entfaltet, und damit die Einwirkung dieser Logik auf das Bewußtsein derer, die diese Sprache sprechen und in ihr denken, und d.h. auch auf das eigene Bewußtsein, zu reflektieren.
Parallelität oder Wiederholungszwang? Sind nicht im Hinblick auf die Toten in Stammheim beide Versionen denkbar: die Mord-Version (Vertuschung der Morde an den Gefangenen durch die Selbstmordkonstrukte) wie auch die Selbstmord-Version (die Instrumentalisierung der Selbstmorde durch die RAF zu Mobilisierungszwecken), während in Bad Kleinen nun wirklich nur die Mord-Version (die Exekution von Wolfgang Grams, um die Pannen beim Tod des Beamten Newrzella zu vertuschen) Sinn macht, und die Selbstmord-Version eher dazu geeignet ist, auch die offizielle Stammheimer Version nachträglich noch in Zweifel zu ziehen? Verräterisch ist hier nun wirklich der absurde Versuch, das Stammheimer Konstrukt auch in Bad Kleinen nochmals zu Hilfe zu nehmen. Vor allem: Im Hogefeld-Prozeß ist jeder Versuch, im Kontext des Vorwurfs der Beteiligung von Birgit Hogefeld an dem „Mord an Newrzella“, der Wolfgang Grams angelastet wird, dessen Tod, der ja nun wirklich in ursächlichem Zusammenhang mit dem Gesamtvorgang in Bad Kleinen steht, zum Gegenstand der Beweiserhebung zu machen, mit wütender Verbissenheit abgewehrt worden. Und mit dem Trick des Freispruchs in dieser Sache, der die Feststellungen des Gerichts juristisch unangreifbar macht, ist nicht nur der Mordvorwurf gegen den toten Wolfgang Grams festgeschrieben worden, sondern damit zugleich ein Tathergang, der die Selbstmordthese mit abzustützen helfen soll. Wäre Bigit Hogefeld in diesem Punkt mit Gründen, die eigentlich schon bei Einreichung der Anklageschrift zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes hätten führen müssen, nicht freigesprochen worden, so wäre nicht auszuschließen gewesen, daß in einem Revisionsverfahren auch der angebliche Selbstmord von Wolfgang Grams zum Gegenstand der Beweiserhebung hätte werden können. Läßt sich, was im Hogefeld-Prozeß auf dem Spiel stand, nicht vielleicht doch genau an diesem Freispruch ermessen? – Und genau hier gehorcht die RAF dem Grundsatz aus der Feuerzangenbowle: „Da stelle mer uns janz dumm“, und riskiert, wie sie es im Falle Christoph Seidler, dem sie dann noch oberlehrerhafte Zensuren erteilt, offensichtlich sehenden Auges getan hat, daß Unbeteiligte jahrelang dem Verfolgungsdruck ausgesetzt sind und vielleicht sogar – wie möglicherweise in einer Reihe von von RAF-Prozessen, vielleicht auch im Falle Birgit Hogefelds – wegen Taten, die sie nicht begangen haben, bis hin zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt werden.
Ist nicht dieses Wort von dem „Verrat der eigenen Geschichte“ zweideutig: logischer Angelpunkt einer Kollektivhaftung aller Mitglieder der RAF für alle Taten der RAF? Bezogen auf Birgit Hogefeld kann es RAF-intern bedeuten, daß ihr generell das Recht verweigert wird, sich von Taten der RAF zu distanzieren, während es in den Händen der Ermittlungs- und Strafverfolgungseinrichtungen der Unterstellung Nahrung liefert, daß die „eigene Geschichte“ auf die von Birgit Hogefeld sich bezieht, und z.B. als beweislogisch verwertbarer Hinweis auf ihre Beteiligung am Mord an Pimental verwandt werden kann, deretwegen sie dann auch verurteilt wurde.
Ist nicht die Larmoyanz des Anklägers (ein Reflex ihrer Rolle in der Justizmaschine), der zur Selbstentlastung auf seine Pflicht sich beruft, im wörtlichsten Sinne „unerhört“ (geblieben): auch vom Gericht unerhört, weil es sich selbst darin wiedererkannte? Aber gibt es diese Larmoyanz nicht auf beiden Seiten, und ist sie nicht der Grund, daß der Eindruck sich längst verfestigt hat, daß die RAF sich eigentlich nur noch um ihr eigenes Schicksal sorgt, zur Gegenwartsanalyse aber ernsthaft nichts mehr beizutragen vermag? Es ist das Selbstmitleid, das ihnen den Blick verstellt (die Empfindlichkeit, die sie unsensibel macht).
Natürlich hat der Name des Petrus etwas mit der Geschichte der Versteinerung der Kirche zu tun. In der Geschichte der Kirche selbst waren es das Bündnis mit der Macht, die Rezeption der Philosophie, des Hellenismus (des Weltbegriffs), der Ursprung und die Geschichte des Dogmas und der Orthodoxie und in deren Kern die Opfertheologie (die Instrumentalisierung des Kreuzestodes), über die die Versteinerungsgeschichte gelaufen ist. Der Anspruch Roms, in diesen Punkten federführend zu sein: als Bewahrerin der Orthodoxie, war danach durchaus konsequent.
Ist nicht das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Widder und redet wie ein Drache, der falsche Prophet, das Symbol des Sündenbocks. Ist der Sündenbock (der Widder) nicht das männliche Pendant des weiblichen Lamms?
Ist das Tier aus dem Wasser die politische Ökonomie (das Wasser Symbol der Ware, und damit der Völkerwelt), und sind die Banken das Tier vom Lande (der falsche Prophet)? Ist das Ende der Nationalökonomie (und damit auch das Ende der bisherigen Gestalt der Kritik der politischen Ökonomie), die Rolle in der Theorie durch die BWL übernommen wurde, die die Rentabilität (anstelle des „Reichtums der Nationen“) ins Zentrum rückt, nicht eine Folge der Hypostasierung des Blicks der Banken, der die Welt versteinert? Und ist nicht dieser Blick das Modell der „subjektiven Formen der Anschauung“?
War nicht die Weltwirtschaftskrise (Dirk Baecker, S. 66ff) der Wendepunkt, und vor diesem Hintergrund der Faschismus in der Tat die Generalprobe?
Dirk Baecker weist darauf hin, daß die ersten „Bankgeschäfte“ in Babylon Kreditgeschäfte (Agrar-, Handels- und Konsumkredite) auf der Grundlage der in den Tempeln gehorteten Vorräte waren, während erst in Griechenland – auf der Grundlage des Geschäfts der Geldwechsler und der Münzprüfer (der Ablösung des „Bankgeschäfts“ von der Tempelwirtschaft) – die „erste berufsmäßig betriebene Depositenbank …, in der aus Einlagen Kredite vergeben wurden, … eingerichtet worden zu sein (scheint)“ (S. 67). – Ist das nicht der Hintergrund der mathematischen Entdeckungen der Griechen (der Entdeckung des Winkels und der logischen Entfaltung der Geomtrie) , und in Zusammenhang damit des Ursprungs der Philosophie (der „Erfindung“ des Begriffs)?


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