5.3.96

Der Indikativ, das Wissen und die Gewalt: Gestern gab Birgit Hogefeld zu den Pressemeldungen über den suspendierten BKA-Beamten, der gegen das BKA den Verworf erhoben hat, Akten, die Klaus Steinmetz belastet und Birgit Hogefeld entlastet haben sollen, unterdrückt und vernichtet zu haben, eine Erklärung ab, die sehr deutlich von ihren bisherigen Prozeßerklärungen sich unterschied. Zum erstenmal war, so mein Eindruck, so etwas wie ein RAF-Ton zu vernehmen. Während ihre bisherigen Erklärungen vorrangig ihre eigenen Motive (weshalb sie sich der RAF angeschlossen hat) und Positionen (Verurteilung der Ermordung des GI’s Pimental) zum Gegenstand hatten und in der Sprache der Reflexion vorgetragen wurden, versuchte sie hier, die in den Pressemitteilungen bekanntgewordenen Fakten einzuordnen und zu interpretieren, das jedoch in der Sprache des Indikativs, in einem Ton, der nach außen „Wissen“ demonstrierte, in einer Sprache, die leicht als Echo der Sprache des Staatsanwalts sich identifizieren ließ. (Dieser staatsanwaltliche Indikativ ist reflexionslos, er bricht den Dialog ab, läßt nur noch den Weg der Gewalt offen, der „Bestrafung“.) Steht diese Änderung des Tons in Zusammenhang mit dem Besuch von Antje Vollmer, war sie die Reaktion auf den Senatsbeschluß zur Verlegung von Monika Haas in ein Gefängniskrankenhaus? Vgl. hierzu die Ankündigung eines Hungerstreiks, gemeinsam mit Eva Haule.
Staatsschutzprozesse, Verwaltungsentscheidungen, der Indikativ und die RAF: Sind die sprachlichen Formen, in denen sie sich ausdrücken, nicht allesamt Formen des „kurzen Prozesses“: des Verzichts auf Reflexion, des bestimmenden Urteils (des synthetischen Urteils apriori)? In jedem Falle ist der, über den das Urteil, die Entscheidung ergeht, bloßes Objekt. Das „Wissen“, das in diesen Sprachformen sich ausdrückt (und das den gleichen logischen Anspruch erhebt wie die wissenschaftliche Erkenntnis, in deren logischen Kontext auch das Dogma gehört), läßt grundsätzlich keinen Einspruch mehr zu.
Ist nicht das Konstrukt des stellvertretenden Opfers das logische Modell eines Staates, der seinen Bürgern (in den Kasernen, Knästen, Irrenhäusern und Schulen) die Drecksarbeit abnimmt? Wenn der Staat für Ordnung sorgt und durchgreift, kann der Bürger in seinem privaten Bereich verständnisvoll und voller Mitleid sein. Nur daß es auch wiederum Bürger sind, die für den Staat die Drecksarbeit tun, für die der Staat dann allerdings die Verantwortung übernimmt, wobei er zugleich diese Bürger vor dem Vorwurf in Schutz nimmt, ihre Arbeit sei Drecksarbeit. Dafür erwartet er dann ihren Dank. Der Staat ist das Instrument der Vergesellschaftung einer Sündenvergebung, die der Reue und der Umkehr nicht mehr bedarf (der apriorischen „Rechtfertigung“ der Sünde, die in seinem Namen getan wird).
Ist das Sklavenhaus Ägypten nicht auch der Eisenschmelzofen (Dt 420, 1 Kön 851, Jer 114, vgl. auch Ez 2220), und sind dem nicht die subjektiven Formen der Anschauung vergleichbar, die den Indikativ erzwingen?
Der RAF-Ton ist der verbitterte Indikativ, aber ist nicht die Verbitterung von der Erbitterung zu unterscheiden? Erbittert ist, wer am Ziel festhält und sich dabei nicht verbittern läßt. Der Verbitterte hat schon kapituliert.
Der „Glaube an das Gute im Menschen“ ist naiv, er wäre zu ersetzen durch die Lehre vom Feuer (vgl. den Eisenschmelzofen).
Ist nicht das Bekenntnis des Namens das christliche Äquivalent des Tempels: der das Haus des Namens Gottes war? Das reale Bekenntnis des Namens ist die Nachfolge, die in den Bereich hineinreicht, den die Theologie seit je ausgeblendet hat. Ist nicht das Dogma das Instrument dieser Ausblendung (der Feigenbaum, der nur Blätter, keine Früchte trägt)?
Die Theologie im Angesicht Gottes zielt ab auf die Heiligung des Namens, sie holt das Feuer vom Himmel, von dem er wollte, es brennte schon.
Es ist schlimm, aber der Indikativ der RAF ist die Fortsetzung des Stammtischs mit anderen Mitteln: die Anwendung des Vorurteils, das seit je terroristisch war, auf die Quelle des Vorurteils, den Staat.
Der Indikativ ist die Sprache der Verbitterung; verbittert aber wird, wer an dem Schmerz der Erbitterung verzweifelt.
Die Kopenhagener Schule hat die moderne Physik wieder in den Indikativ (in die Herrschaftsform des Inertialsystems) zurückübersetzt, sie braucht die Gewißheit, sie scheut das Feuer. War nicht Weizsäckers Theorie der Energieerzeugung in der Sonne das Werk eines Staatsanwalts? Und stehen nicht alle physikalischen Theorien mit kosmologischem Anspruch seitdem in dieser Tradition (der Urknall, die schwarzen Löcher, das „expandierende Weltall“)?
„Das Wahre ist der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht runken ist“: Die dogmatische Tradition, die bis in die modernen Naturwissenschaften hineinreicht, verdrängt diesen Taumel, sie verdrängt ihn nach innen, sie verwirrt. Die Flucht vor dieser Verwirrung endete im Positivismus. So hängen der Indikativ des Anklägers und die diabolische Verwirrung (der Taumelkelch) mit einander zusammen.
Lassen sich Strafprozesse nicht danach unterscheiden, wem jeweils Narrenfreiheit gewährt wird? In RAF-Prozesse sind es die Ankläger, während im Auschwitzprozeß die Verteidiger dieses „Privileg“ hatten.
Die Unterscheidung der Narrenfreiheit des Anklägers (im RAF-Prozeß) von der des Verteidigers (im Auschwitz-Prozeß) hat etwas mit der Unterscheidung von Satan und Teufel zu tun. Und gründen nicht beide Formen der „Narrenfreiheit“ im logischen Problem des Beweises, sind nicht beide Instrumentalisierungen des Verfahrens der Beweisumkehr?
Läßt sich der Indikativ (und mit ihm die sprachlogische Form der indoeuropäischen Grammatik insgesamt, insbesondere das Neutrum und der Kernbestand der indoeuropäischen Formen der Konjugation, das Präsens und das Präteritum) nicht als Instrumentalisierung des Verfahrens der Beweisumkehr begreifen? Und ist das nicht die sprachlogische Wirkung der subjektiven Formen der Anschauung, die erstmals Kant in der Antinomie der reinen Vernunft ins Licht gehoben hat? Ist diese Beweisumkehr nicht der innere Motor des Taumels (das Gesetz der Beziehung von Begriff und Gegenstand unter der Herrschaft der subjektiven Formen der Anschauung, das sprachlogische Wertgesetz)?
Blut und Boden: Als Kant die Achtung vor dem Geld aus der Vorstellung, was man damit machen könnte, ableitete, war das Geld noch in erster Linie ein Produktionsmittel, aber nur in Ansätzen eines der Subsistenz; dazu ist es erst in unserer Zeit geworden. Heute ist aus dem Fundament, auf das die Menschen einmal ihr Haus gebaut haben, der Schlund geworden, der sie verschlingt. War der Faschismus, und war insbesondere Auschwitz nicht der Versuch der projektiven Verarbeitung dieser Erfahrung?
Steckt in der kantischen Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises (in dem Hinweis auf den Unterschied zwischen dem Geld in meinem Beutel und dem nur gedachten Geld) nicht schon eine Ahnung des ökonomischen Bruchs, der in seiner Philosophie bewußtlos (als Erkenntniskritik) sich ausdrückt?


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