5.9.1994

Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob Religion sich an der Rechtfertigung, der Idee Sündenvergebung, oder an der Verwirklichung der Gerechtigkeit, der Beseitigung der Not, orientiert.
Gewaltverhältnisse sind von einzelnen Akten der Gewalt, die grundsätzlich darauf abzielen, Gewaltverhältnisse zu schaffen, zu unterscheiden. Gewaltverhältnisse sind die Innenseite des Begriffs, mit der Erinnerung ihres eigenen Ursprungs enthalten sie ins sich die verdrängten Erinnerungen an den Ursprung des Begriffs.
Die Logik der Schrift (als Logik der Sprache des Staates) ist die Voraussetzung und die Verhinderung der Utopie zugleich. Die Logik der Schrift terminiert im Kreuzestod, und dessen Instrumentalisierung (in der Opfertheologie) geht einher mit der Instrumentalisierung der Schrift, deren Erbe und Opfer zugleich der Fundamentalismus ist.
Sind nicht die Deklinationen, die das Substantiv konstituieren, Deklinationen des Begriffs: Ausdruck der Herrschafts- und Gewaltbeziehungen? In welcher Beziehung stehen die Deklinationen zu den Konjugationen? Ist nicht die Satzkonstruktion, die Regelung der Stellung der Satzelemente (Subjekt, Verb, Objekt, Nebensätze) im Satz, auch Ausdruck der Sprachlogik? Und weist nicht die deutsche Gewohnheit, zusammengesetzte Verben auseinander zu reißen, und den präfigierten Teil ans Ende des Satzes zu setzen, auf die besondere Affinität der deutschen Sprache zur Herrschaftslogik hin („Und weist nicht … hin?“ anstatt „Und hinweist nicht …?“)? Hier wird das Verb zum Käfig, zur Isolationszelle, in die der Satz – wie ein Tier im Zoo oder ein Terrorist im Hochsicherheitstrakt – eingesperrt wird. Genau das aber ist insbesondere der Grund, aus dem die grammatisch-logische Konstruktion des „Substantivs“ sich herleitet. Ist das deutsche Lehrer-Ideal (das Deutschlehrer-Ideal) des „vollständigen Satzes“ nicht ein Herrschaftsmittel; es wird von den gleichen Leuten gefordert, die selber nicht in der Lage sind, einen Sachverhalt korrekt ausdrücken, die ihren Schülern das Lesen verleiden, die sich aber für befähigt halten, Aufsätze zu zensieren. Ist nicht die Aversion gegen Literatur, die Unfähigkeit zur Sprachreflexion, diese besondere Art des Analphabetismus, ein Produkt des Deutschunterrichts in den Schulen?
Kritische Kommunikationsfähigkeit lebt von der Fähigkeit zu Sprachreflexion, der Grund die Fähigkeit zur Schuldreflexion ist. Ist sie nicht im Katholizismus durch die Eucharistie (durch die Verdinglichung des Worts in der Sakramentenlehre insgesamt) ausgetrieben worden? – Auch eine Konsequenz aus der falschen Übersetzung von Joh 129.
Die Tatsache, daß unsere Verwaltungen nicht mehr in der Lage sind, präzise und zugleich verständliche Texte herauszugeben, steht in einer logischen Korrespondenz zur Unfähigkeit von Informatikern („Software“-Herstellern), zu den Produkten, die sie herstellen, verständliche Produkt-Informationen (Handbücher, Gebrauchsanleitungen) zu liefern.
Ein Staat, der sich nicht mehr verständlich machen kann, der nur noch funktioniert, kann nur als Gewaltstaat funktionieren.
Zur Jotam-Fabel: Was haben Bäume und Könige – außer daß beide Kronen tragen – gemeinsam? Sind nicht die Kronen die Luftwurzeln der Bäume, und ist vielleicht der Baum der Erkenntnis der auf den Kopf getellte Baum des Lebens (und sind beide durch Umkehr aufeinander bezogen)?
Steckt nicht in der Geschichte von den Feigenblättern und dem Tierfell schon die Geschichte der Opfer von Abel und Kain, gehört die eine nicht als Vorgeschichte zur anderen? Und ist nicht das Feigenblatt ein Symbol der Logik der Schrift (vgl. hierzu auch Johannes Scotus Eriugena)? Die Logik der Schrift ist die Logik der Trennung von Sprache und Realität. Kehrt nicht generell in den Brüderpaaren (Ismael und Isaak, Esau und Jakob, Moses und Aaron, aber auch Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes, Jesus und Jakobus) das Brüderpaar Kain und Abel wieder?
Das kopernikanische System und seine dynamische Begründung durch Newton sind grandiose Konstrukte zur Begründung und Stabilisierung des Inertialsystems.


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