5.7.96

Der Eigentumskonkretismus, dem Heinsohn verfallen ist, ist ein Trick, mit dem Heinsohn den Begründungszusammenhang, der das Eigentum mit dem Staat verbindet, ausblendet. Wenn er Eigentümer von Nichteigentümern unterscheidet, macht er den Staat zu einem Appendix der Eigentümer (und den Eigentumsbegriff zu einem Teil der Hausbesitzerideologie). Das Geld ist durch eine Eigenschaft definiert, die es von den „Gütern“ ähnlich unterscheidet wie den Raum von den Dingen in ihm (oder wie das Instrument von der Materie, die es bearbeitet): durch die logische (nicht empirische) Eigenschaft der Unvergänglichkeit, die als Folie der Vergänglichkeit die Dinge wie die Waren dem Untergang (der Verarbeitung, dem Verbrauch, dem Verzehr) zueignet. Wenn der Schuldknecht ein Eigentümer ist (S. 180), dann ist der Proletarier ein Schuldknecht seiner selbst. Gezeugt, nicht geschaffen: Güter werden produziert, Geld ist die Voraussetzung einer Produktion, in der es eigentlich nur sich selbst reproduziert (wie auch der Raum, der durch die subjektive Form der äußeren Anschauung hindurch sich konstituiert). Der philosophische Substanzbegriff ist ein Reflex des Eigentumsbegriffs: auf den Substanzbegriff und seine immanente Logik bezieht sich der trinitarische Begriff der homousia. War nicht die mittelalterliche Eucharistielehre eine sakrale Geldtheorie? Heinsohn abstrahiert von der Tatsache, daß Eigentum überhaupt erst im Prozeß des Ursprungs des Staates, mit dem Staat zusammen, sich konstituiert. Im Eigentumsbegriff steckt das, was heute Staatsgewalt heißt (und jeder Eigentümer hat Anteil an dieser Staatsgewalt; darin gründet der Nationalismus). Eigentumsbildung erfolgt nicht allein durch Revolution (der Schuldknechte gegen die Feudalherrn), sondern auch durch Eroberung, die das Eigentum der Eroberer an der unterworfenen Bevölkerung wie an ihrem Besitz begründet (vgl. die archaischen, regressiven Züge des Jugoslawien-Konflikts). Zur Logik jeder Revolution gehört es, daß sie nicht einfach nur den Staat, sondern ihn zugleich als Eroberungsstaat begründet. Gründet nicht der Missionsauftrag der Kirche in der gleichen Logik (ist nicht das Zeugen in der Trinitätslehre das Movens des Missionsauftrags der Kirche: Gehet hin in alle Welt …)? Hegels Satz, daß eine Grenze bestimmen sie überschreiten heißt, gründet in dieser Eigentumslogik. Es ist die gleiche Logik, die das Anschauen mit der Nacktheit verbindet (und den Ursprung des Staats mit dem Ursprung der Sexualmoral). Die Trinitätslehre hat das Problem, das der Philosophie im Römischen Staat sich stellte, gelöst, aber nur das logische, nicht das herrschaftsgeschichtliche Problem, das in dem logischen sich verbirgt. So ist diese Lösung zur neuen Grundlage einer imperialistische Ideologie geworden. Der Preis für die Hellenisierung war das proton pseudos der Theologie: die Opfertheologie. Steckt nicht in dem polemischen Teil der Heinsohnschen Theorie, in seiner Lust an der Entdeckung der Dummheit der Anderen, genau das tabuisierende Element, ein religiöses Erbe? Tempelwirtschaft: War nicht die „Religion“ ein Instrument der Legitimierung des Kontrakts und damit des „Eigentums“ und der mit ihm sich entfaltenden Logik? Die Tempel-, Priester- und Opferreligion wäre selber zu begreifen als gleichsam embryonale Frühform der Eigentumslogik. Am Astralkult und an der daraus hervorgegangenen Astrologie läßt der Zusammenhang mit der Eigentumslogik, mit der altorientalischen Gestalt der politischen Ökonomie, mit Händen sich greifen. Darin gründet die Vermutung, daß die „Venus-Katastrophe“ weniger auf eine astronomische, als vielmehr auf eine politisch-ökonomische Katastrophe sich bezieht. Sind Jupiter, Mars, Merkur und Venus, aber auch Sonne, Mond und Saturn, Verkörperungen einer an den Himmel projizierten Gesellschaftstheorie? Die „Wege des Irrtums“ (Jakobusbrief) oder die sieben unreinen Geister: Es gibt nicht mehr nur eine Dummheit, sondern eine (abzählbare) Vielheit an Gestalten der Dummheit, die alle durch Unbelehrbarkeit (und jede für sich durch Unwiderlegbarkeit) sich auszeichnen (vgl. die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos). „Was ist Wahrheit“ (Pilatus): Heute ist der Wahrheit gegenüber jeder im Vorteil, der sich dumm stellt. Kehren nicht die „theologischen Mucken der Waren“ heute in den wirren Phantasien über die Beziehungen der modernen Naturwissenschaften zur Religion wieder? „Ihr laßt die Armen schuldig werden“ (Goethe): Heinsohn/Steiger weisen „die Hauptlast bei der Verteidigung der Preisstabilität nicht … der Zinspolitik, sondern … der Einkommenspolitik in Gestalt der Nominallohnpolitik“ zu (S. 273). In einer Wirtschaft, in der die Unternehmensleitung nicht mehr Sache der „Eigentümer“, sondern die eines selber „lohnabhängigen“ (besitzverwaltenden) Managements ist, das nach „objektiven“ Grundsätzen einer „betriebswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ handelt, erweist sich die Einkommenspolitik als die letzte weiche Stelle in einem ansonsten von lauter „harten Fakten“ bestimmten Kostengerüst. Die letzten „Eigentümer“, die mit ihrem Eigentum (mit ihrer nackten Existenz) für die Schuld, ohne belastbares, pfändbares, jedenfalls in Geld ausdrückbares Eigentum geboren zu sein, haften, sind die Arbeiter und Angestellten. Die Eigentümer haben sich aus der Verantwortung gestohlen, an der sie einmal ihre Würde hatten; die, die die Verantwortung haben, tun nur ihre Pflicht, wissen aber nicht mehr was sie tun (und die Wissenschaft, die ihnen dabei behilflich ist, verkörpert genau dieses Nichtwissen); nur die, die als Eigentumsledige jeder Einwirkungsmöglichkeit beraubt und aller Verantwortung enthoben sind, tragen die ganze Last des Risikos.
Gibt es eigentlich eine Abhängigkeit des außer jeder Relation zur Gesamtentwicklung des Preisniveaus sich vollziehenden Steigens der Grundstückpreise zur Entwicklung des die Logik der Geldwirtschaft beherrschenden Eigentums insgesamt? Ich vermute, die These ist nicht nur begründbar, sondern auch beweisbar, daß die Preissteigerungen am Grundstückmarkt (die als Folge der durch keine Leistung fundierten, sondern allein die Eigentumsmacht reflektierenden Mieterhöhungen sich begreifen lassen) als Index und als Spiegelbild der Gesteinsverschiebung in der gesamtwirtschaftlichen Eigentumsverteilung sich erweisen. Ist die jeder äußeren Einwirkung sich entziehende (gegen jeden moralischen Appell immun gewordene) Eigentumsmacht nicht die Perfektionierung der gleichen Strukturen und Mechanismen, die in anderen Zeiten im Phänomen der Majestätsbeleidigung sich manifestierte: Ist das Eigentum die unverletzbar gemachte (gegen das Ansinnen der Moral immunisierte) Verletzlichkeit der Herrschaft (die Stelle des Lindenblatts beim Siegfried)? Polanyi hat darauf hingewiesen, daß die Subsumtion des Grund und Bodens, der Arbeit und des Geldes unters Tauschprinzip dem Kapitalismus den Weg freigemacht hat. Welche Konsequenzen lassen sich aus dieser Konstellation angesichts der gegenwärtigen Globalisierung der Ökonomie für die Objekte dieser Subsumtion im einzelnen (für Grund und Boden, für die Lohnarbeit, für die Geldentwicklung) ableiten; rücken diese Konsequenzen nicht auch die Beziehungen dieser Elemente in ein neues Licht (ähnlich wie die Beziehungen der drei Richtungen im Raum)? Die Eigentums- und Geldtheorie Heinsohns und Steigers ist das Produkt einer genauesten Entfaltung der Logik der Ökonomie; aber ist diese Logik nicht eine Harakiri-Logik, ein Instrument der Selbstzerstörung der ökonomischen Theorie: das Opfer der Ökonomie an den Absolutheitskern ihrer eigenen Idee (das Gegenstück des newtonschen „absoluten Raums“)?


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