Marktkolonialismus: Ist das Schuldenproblem der Dritten Welt, insbesondere auch in Lateinamerika, nicht auch darin begründet, daß das belastbare Eigentum in den betroffenen Ländern in fremder Hand sich befindet? Die multinationalen Konzerne entziehen der Idee der Nation im wörtlichsten Sinne den Boden.
Eigentumsgesellschaften sind Eroberungsgesellschaften (die Revolution gegen den Feudalismus ist nur die eine Seite der Sache, der Ausbreitungs- und Eroberungstrieb die andere). Eigentum gibt es nur im Kontext staatlicher Organisation des Eigentums: Liegt die Lücke des Heinsohnschen Konzepts etwa darin, daß er das nationale Problem ausblendet, damit aber auch die Affinität der Eigentumslogik zum Nationalismus (vgl. die Jugoslawienkrise, aber auch den Slogan „Standort Deutschland“)? Ist die Ausblendung der sie fundierenden Beziehung zur Nation nicht ein Teil der Eigentumslogik, die ohne diese Abstraktion nicht zu halten ist?
Wer den Ursprung des Geldes auf den des Eigentums zurückführt, darf eigentlich die Ursprungsgeschichte des Eigentums nicht ausblenden, wobei das Problem auf den Ursprung des Eigentums nicht mehr sich eingrenzen läßt. Auch die Naturwissenschaften gründen in der Eigentumslogik, die nur zusammen mit einer Kritik der Naturwissenschaften sich reflektieren läßt. Und darin liegt das Grundproblem der Kritik der Naturwissenschaften, daß sie die Kritik der Eigentumslogik voraussetzt und mit einschließt: als Kritik der Funktion der Naturwissenschaften im Prozeß der Selbstlegitimation des Bestehenden.
Faszinierend wäre die Analyse der Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Eigentums zur Geschichte der Sexualität, zum Ursprung der Sexualmoral.
Ist nicht der Begriff der Gnade seit Augustinus ein Produkt der gleichen Abstraktion (der gleichen Halbierung), der auch der Ursprung und die Entfaltung der „subjektiven Formen der Anschauung“ sich verdanken: der Konstituierung der Trägheit, des Objektseins, der Passivität, am Ende des Selbstmitleids: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“? Im Kontext der vergegenständlichten Natur gibt es keinen „gnädigen Gott“!
Hat nicht der Begriff des Eigentums in der Ökonomie den gleichen Stellenwert und die gleiche Funktion wie der Begriff der Trägheit in den durchs Inertialsystem definierten Naturwissenschaften?
Es gehört zur Ambivalenz des Namens Jesu („Jesus Christus“), daß er so wie der Name einer Privatperson klingt, während er doch den Anspruch erhebt, der Name des Messias zu sein (den aufgrund dieser Privatisierung niemand mehr kennt, wie anhand des Problems der Vergöttlichung Jesu leicht sich nachweisen läßt). Wenn die „Todesangst“ Jesu in Getsemane nicht auf die abstrakte Privatperson, sondern zugleich auf die messianische Kraft, die sie verkörpert, und auf den Zustand der Welt, an dem diese Kraft sich mißt, bezogen wird: auf die Angst des Mißlingens, erhält dann diese Geschichte nicht eine ganz andere Bedeutung, ein ganz anderes Gewicht? Drückt die privatisierende Gewalt des Ereignisses nicht exakt in dem Schlaf der Apostel sich aus? Sie haben im wörtlichsten Sinne diese „eine Stunde“ verschlafen. Auch der Messias kann es nicht alleine, er kann es nicht für sich sein.
Ist Christ ein Name, mit dem ich benannt bin, oder ein Begriff, unter den ich subsumiert werde?
Das himmlische Jerusalem der Apokalypse, ist das nicht das nicht das Gegenstück der Schechina im Exil? Ist nicht die christliche Ära die Zeit der Restituierung des geschändeten, verwundeten, zerschlagenen Jerusalem, an deren Ende es als himmlisches Jerusalem (als geschmückte Braut) wiederkehrt? Aber das himmlische Jerusalem wird eines sein, in dem kein Tempel mehr ist.
1968 hat das Generationenproblem erstmals an den Grund der Welt gerührt.
Worauf bezieht sich die Unterscheidung der Bücher, die geöffnet werden, von dem „anderen Buch“, das auch geöffnet wird (Off 2012)? Ähnlich wurde vorher schon zwischen Engeln und „anderen Engeln“ unterschieden (vgl. auch Petrus und den „anderen Jünger“ im Johannes-Evangelium). Was bedeutet dieser Begriff des „anderen“? Das „andere Buch“ ist das „Buch des Lebens“, während die „Bücher“ auf die „Schriften“ zu verweisen scheinen (die in der Passion und Auferstehung Jesu „sich erfüllen“). Bezieht sich das „andere Buch“, das Buch des Lebens, auf etwas, das man im Hinblick auf die Erfüllung der Schrift die Erfüllung des Worts nennen könnte? Und haben dieses „andere Buch“ wie auch die „anderen Engel“ (und der „andere Jünger“) etwas mit dem „einen Sünder“ zu tun (über den größere Freude im Himmel herrscht als über 99 Gerechte) – und mit der verlorenen Drachme? Und bezieht sich darauf der letzte Satz des Jakobus-Briefs?
Wenn Reinhold Schneider als toter Hund am Fuße des Kreuzes begraben sein, an der Auferstehung nicht teilhaben wollte, steckte darin nicht der wahrhaft begründete Widerwille gegen die Opfertheologie, der Widerwille gegen die (erst heute?) unerträgliche Vorstellung, durch das Blut dieses Opfers von Sünden rein gewaschen zu werden?
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Wie wahr ist der Plural in diesem Satz. Nackte Tatsachen, das sind die vom Blick der Barmherzigkeit entkleideten Tatsachen. Ist nicht die Nacktheit ein logischer Begriff, hat sie nicht Anteil an der Allgemeinheit des Begriffs, als Reflex der Abstraktion, in der der Begriff sich konstituiert?
Nachdem Ham die Blöße seines Vaters nicht zudeckte, wurde nicht er, sondern sein Sohn Kanaan dafür verflucht. Hat nicht jedes Geschwätz, jedes Gerede über andere (das Gerede „hinter dem Rücken“ des Andern, das die Gunst seiner Abwesenheit nutzt), jede projektive Verarbeitung der Unfähigkeit, die eigene Schuld zu reflektieren, und deshalb zur eigenen Entlastung des Mittels der Schuldverschiebung sich zu bedienen, Teil an diesem Mechanismus des Aufdeckens der Blöße? Der Gebrauch, den jede Apartheid und jeder fundamentalistische Rassismus von der Ham-Geschichte macht, greift schon deshalb zu kurz, weil der Fluch nicht Ham (den Hitzigen), sondern Kanaan (den Händler) trifft, damit aber nicht einen Typus des Rassismus, sondern einen der Ökonomie (der eigentumsbegründenden Gelwirtschaft).
Gibt es nicht in einem der Theaterstücke Becketts, im „Endspiel“, einen Ham (zusammen mit Estragon)?
Hat Rosenzweigs Kritik des All (die er mit der sprengenden Kraft der Todesfurcht begründet) etwas mit den weißen Kleidern in der Apokalypse zu tun (mit der Bedeckung der Nacktheit)? „Die Nackten kleiden“, auch das gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Unterm Bann der Eigentumslogik, die durch ihren Systemgrund die Barmherzigkeit ausblendet, die Dinge entkleidet, sie nackt vor Augen stellt, sind wir nur noch Aufdecker der Blöße. Nach Jakobus haben die Reichen „den Gerechten verurteilt, getötet; er widersteht euch nicht“ (56).
Der Gottesname in dem Satz, daß der Gepfählte ein Fluch Gottes ist, ist der Name Elohim (Dt 2123).
Sind nicht die Werke der Barmherzigkeit insgesamt auch Explikationen des Gebots der Heiligung des Gottesnamens? Wie verhalten sich die Werke der Barmherzigkeit („die Hungrigen speisen, die Nackten kleiden …“) zu den Werken, auf die Jesus verweist, als Johannes ihn durch seine Jünger fragen läßt, ob er es sei, der da kommen soll („die Blinden sehen, die Lahmen gehen …“)? Sind nicht die Werke der Barmherzigkeit die Weiterführung dieser Werke?
Verweist der Begriff des Realsymbolischen, der auch die Werke der Barmherzigkeit überhaupt erst gehörig ins Licht rückt, nicht auf die Namenskraft der Sprache, die deren kommunikative Eingrenzung und Abstraktion sprengt? Und rührt dieser Begriff des Realsymbolischen nicht an die Intention, die die Erfüllung der Schrift in die des Wortes zu transformieren trachtet? Die Heiligung des Gottesnamens bezieht sich auf den gleichen Sachverhalt. Barmherzigkeit, nicht Opfer.
Das Inertialsystem (und in ihm die subjektive Form der äußeren Anschauung) macht die Dinge eigentumsfähig
– durch Orthogonalisierung des Raumes, die jede Umkehr in eine andere Richtung des Raumes überführt,
– durch Eliminierung der Umkehr aus dem Begriff der Erkenntnis, durch Fixierung auf die intentio recta,
(beide Momente sind durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum miteinander verknüpft)
– durch Veränderung ihrer Beziehung zur Sprache (die mit der Form der Anschauung gesetzte intentionale Objektbeziehung löscht die der Sprache, dem Namen, innewohnende Kraft der Erkenntnis, sie ersetzt den Namen durch den Begriff).
6.7.96
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie
Schreibe einen Kommentar