Worauf Heinsohn/Steiger überhaupt nicht eingehen, das ist die staatliche Begründung und Organisation des Eigentums, der Zusammenhang des Ursprungs des Eigentums mit dem des Staats.
Der Eigentümer, der nur noch an der „Verteidigung des Eigentums“ interessiert ist, instrumentalisiert die Welt, die nur so zur „Welt“ wird. In diesem Kontext der entspringt der Naturbegriff: als Inbegriff der Objektseite der Welt, des besiegten und unterworfenen Feindes.
Ist die Miete nicht die Umkehrung des im Schuldverhältnis gründenden Zinses: Der Eigentümer verzichtet nicht auf seine Eigentumsrechte (wie bei der Beleihung im Falle eines Kredits), sondern auf seine Nutzungsrechte. Befristet übertragen wird nicht ein Eigentumsanrecht, sondern werden die Besitzrechte. Die Miete (wie auch die Pacht) ist der Zins für die Nutzung fremden Eigentums.
Sind Eigentum und Besitz nicht Begriffe, die sich nicht abstrakt nur trennen lassen, die sich vielmehr in einander reflektieren (wie Zins und Miete)?
Wie harmlos, oder wie idyllisch und katastrophisch zugleich wird es, wenn Heinsohn und Steiger auf das Problem der Beziehung von Tausch- und Gebrauchswert zu sprechen kommen. Hier bleibt der Gebrauchswert im Bann des Tauschwerts, alles andere wird ausgeblendet. Der Markt (die in Geld sich definierende Nachfrage, nicht die Lebensbedürfnisse der Menschen) entscheidet darüber, ob ein Gebrauchswert ein Tauschwert ist. Die Verteidiger des Eigentums sind an den Nebenwirkungen des Eigentums nicht interessiert.
Heinsohn hat insoweit recht, als das Tauschparadigma in Herrschaftskritik terminiert; und indem er das Tauschparadigma „widerlegt“, glaubt er auch das Herrschaftsproblem (zwar nicht gelöst, wohl aber) beseitigt, aus dem Blick gerückt zu haben. Man sieht’s nicht mehr. Ist hier nicht der Punkt, an dem der Objektivierungsprozeß umschlägt in den Prozeß der Subjektivierung von Kritik zur bloßen Meinung? – Implizit ist damit auch (wie vorher schon für die Naturwissenschaft, so in ihrer Folge auch für die Philosophie) Kant erledigt, die Erinnerung an seine Vernunftkritik gelöscht.
Das Problem der Herrschaftskritik ist durchs Eigentumsparadigma nicht erledigt, nur auf seine Wurzel zurückgeführt: Eigentum ist der Naturgrund der Herrschaft.
Wodurch unterscheidet sich im Kontext der Eigentumslogik die Geschäftsführung von der Lohnarbeit? Gründet die Geschäftsführung, das Management, in einem Mietverhältnis (in dem Nutzungsrechte an Sachen delegiert, und nicht – wie im Fall der Lohnarbeit – Nutzungsrechte an der eigenen Person übertragen werden)? (noch nicht klar)
Hängt die Unterscheidung von Eigentum und Besitz mit der von Welt und Natur (Begriff und Objekt, Tausch- und Gebrauchswert) zusammen? Ist die Ursprungsstunde des Eigentums die des Begriffs (des „Seins“)? Ist die Ontologie der „innere Begriff“ des Eigentums, die Idee einer „Eigentumswirtschaft“ gleichsam die Fundamentalontologie der politischen Ökonomie: wird hier nicht das Possessivpronomen der männlichen dritten Person („sein“) zur Kopula (die Unterscheidung von Eigentum und Besitz spiegelt sich bei Heidegger in der von Vorhandenem und Zuhandenem, aber auch in der von Eigentlichem und Uneigentlichem)?
Ist nicht der letzte Satz in dem letzten der „idealtypischen Kernsätze“ zur Eigentumswirtschaft ebenso dunkel wie erschreckend, wonach es „eine Politik (braucht), deren Radikalität den historischen Sternstunden (sic!) der Schaffung von Eigentum nicht nachsteht“ (Heinsohn/Steiger, S. 445)? Wenn Heinsohn von „Sternstunden“ spricht, liegt die Assoziation der „Venuskatastrophe“ nahe. Paßt nicht überhaupt der Konkretismus seiner Theorie der altorientalischen Geschichte zu seiner „Eigentumstheorie“? Auch diese Theorie ist zwar nicht dunkel, sondern außerordentlich stringent, darum aber in der Sache nicht weniger erschreckend; nur scheint er nicht zu realisieren, auf was das, was er beschreibt, hinausläuft. In seiner Rekonstruktion der alten Geschichte projiziert er eine gesellschaftliche Naturkatastrophe an den Himmel.
Will Heinsohn mit dem oben zitierten Satz andeuten, daß die Radikalität der Politik, die notwendig wäre, Opfer fordern wird, die den Opfern der Ursprungsgeschichte des Eigentums nicht nachstehen? Hat das nicht etwas mit dem Glück des Wissens, des Rechtbehaltens zu tun, das seinen Bestand am Untergang derer, die dieses Wissen nicht teilen wollen, findet? Und ist das nicht heute eine der gefährlichsten Verführungen? Wenn das Buch Jona nur diese Verführung kenntlich gemacht hat, so ist damit seine Aufnahme in den Kanon der prophetischen Bücher gerechtfertigt.
Die sieben unreinen Geister sind gegenüber dem einen Geist die sieben anderen Geister (in dem letzten Satz S. 445 sucht der eine unreine Geist die sieben anderen: hier wird’s astrologisch).
Bezeichnend die Neigung Heinsohns zu monokausalen Ableitungen, zur Eindimensionalität, die zwar den Nerv trifft, nicht aber die Wahrheit. Das gilt sowohl für die „Venus-Katastrophe“, wie auch für seine Antisemitismus- und Auschwitz-Theorie und nicht zuletzt für diese Eigentumstheorie. Manche Passagen bei Heinsohn erinnern an das Halali nach einer erfolgreichen Jagd; ähnlich führt er die erlegte Beute vor, die als dunkler Hintergrund sein eigenes, siegendes Konzept nur umso strahlender aufleuchten läßt. Nur: Ist er sicher, daß er nicht gelegentlich auch Treiber und harmlose Spaziergänger mit erlegt? Auch Nimrod, der Erbauer der „großen Stadt“ war ein „gewaltiger Jäger vor dem Herrn“.
Gibt es nicht neben dem „monetären“ und den „realen Schocks“ (vgl. S. 387f) noch den Theorie-Schock, vor dem er selbst zurückschreckt? Ist der Fehler Heinsohns (und nicht nur Heinsohns) nicht ein ausgesprochener Theorie-Fehler, nämlich der des Zuschauers, der vergißt, daß er selber in die Vorgänge, denen er glaubt entspannt zuschauen zu können, verstrickt ist?
Wäre nicht Kants Begriff der Aufklärung, das Heraustreten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, heute zu verschärfen: nämlich in das Ziel der Selbstbefreiung aus dem selbstverschuldeten Wahn? Und liefert dazu nicht die Heinsohnsche „Eigentumsgesellschaft“ wichtiges Anschauungsmaterial? Bezeichnet nicht der Eigentumsbegriff die Wurzel (wie der Herrschaft, so auch) des Wahns, aber eine objektive, existierende, nicht eine, die durch einen Gesinnungswechsel oder einen Wechsel der Anschauungen zu eliminieren wäre? Ein Beleg für den Satz, daß, wer das Unkraut vor der Zeit ausreißt, den Weizen mit ausreißt? Ist das Eigentum ein Oberbegriff für Weizen und Unkraut zugleich?
Ist der Eigentumsbegriff nicht eine Erläuterung zu jener Definition der Welt, die Wittgenstein zufolge alles ist, was der Fall ist? Und verweist auf die Eigentumsverführung vielleicht die eine der Verführungen Jesu in der Wüste, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen?
Verkörpert der Prophet Hananja, der sich Jeremias entgegenstellte, nicht das hellenistische Element in der jüdischen Tradition, wenn er gegen Jeremias glaubte, das babylonische Joch, das ein eisernes war, kein hölzernes, zerbrechen zu können? Dieses Zerbrechen des Jochs war das Werk der Philosophie, Symbol der individuellen Befreiung in einer unbefreiten Welt, es war Schein.
Sind die Propheten nicht auch nach ihrem Namen zu unterscheiden: die, deren Name auf -ja endet (wie Jeremia, Sacharja u.ä.), von denen, deren Name auf -el endet (wie Ezechiel, Daniel und Joel)? Hat diese Unterscheidung etwas mit Babylon, mit dem Ursprung des Weltbegriffs, mit der Ursprungsgeschichte der Apokalypse zu tun?
Übertragen auf die Naturwissenschaften würde das Heinsohnsche Eigentums-Konzept auf die Forderung hinauslaufen, das Trägheitsgesetz (die Mechanik) aus der Gravitation abzuleiten, während genau hier der Akt der Umkehr sich bestimmen ließe: Abzuleiten wäre die Mikrophysik aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Das Eigentumsprinzip benennt das Prinzip, aus dem in der Ökonomie der Vorrang der Vergangenheit herrührt; das Eigentum ist ebenso unaufhebbar wie die Vergangenheit (und wie die Natur). Das Konzept der Venus-Katastrophe ersetzt und verhindert die Suche nach dem gemeinsamen Ursprung von Astronomie und Staat und nach der gemeinsamen Logik beider, es setzt sie nur voraus. An die Stelle historischer Konkretion tritt der Konkretismus einer Naturkatastrophe, der den geschichtlichen Schuldzusammenhang ausblendet, ins Irrationale verschiebt.
Griechenland und Rom: Alexander war ein Schüler des Aristoteles. In Rom waren die Philosophen Schüler der Caesaren. In dieser Konstellation gründet das christliche Dogma, so ist es zu einer Station (oder auch Durchgangsphase) in der Geschichte der Philosophie geworden. Der letzte Philosoph der römischen Geschichte war Augustinus, der in seinem Namen als Kaiser-Schüler sich bekannte.
Eigentum, das aus dem Verwertungsprozeß, dem ökonomischen Prozeß herausfällt, ist Abfall oder herrenloses Gut. Ist das nicht eine reale Erfahrung in weiten Teilen der heute nachwachsenden Generation? Und sind nicht zentrale Erscheinungsformen in der Jugendszene, von der Musik über die Frisur bis zur Kleidung, Ausdruck dieser Erfahrung (zur Punk-Szene gehört die obligatorische Ratte, das Abfall-Tier).
Die Eigentumstheorie ist eine Exkulpationstheorie, die Materialisierung der Befreiung vom Rechtfertigungszwang, in den sie zugleich alle verstrickt. Die Schuld wird unsichtbar, wenn sie zum Absoluten wird.
8.7.96
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