Anblick und Angesicht: Die subjektiven Formen der Anschauung trennen den Anblick vom Angesicht (das Sehen vom Hören), fundieren und fixieren die intentio recta, verdrängen jede Erinnerung an eine Alternative dazu. Das Angesicht (Verkörperung des Gegenblicks und Widerpart des Anblicks) bezeichnet einen sprachlichen Sachverhalt. Es wird repräsentiert sowohl vom Angesicht Gottes als auch vom Angesicht der Kinder. „Wissende“ Kinder (Kinder ohne Angesicht) sind Kinder, deren Vertrauen in die Welt enttäuscht wurde (Schule in der verwalteten Welt drohen zu Produktionsstätten „wissender“ Kinder zu werden; im Angesicht der Kinder leben heißt, die Welt so hell machen, daß Kinder in ihr nicht mehr endgültig enttäuscht werden können. Kinder weinen, bevor sie sprechen (Kindern das Weinen verbieten heißt, sie am Sprechenlernen hindern; Jungen dürfen nicht weinen: mit der Erinnerung ans Weinen wird der Sprachgrund, die erkennende Kraft des Namens, gelöscht, hier entspringt das Lachen, Produkt der verdrängten Erinnerung an das Angesicht im Lächeln des Kindes); Erwachsene lachen, wenn sie aufhören zu sprechen: durchs Lachen (durchs schallende Gelächter) schaffen sie eine Gemeinschaft von Stummen, die eine Bekenntnisgemeinschaft ist; Lachen ist die Ursprungsgestalt der Bekenntnislogik, ihr genauester Ausdruck (mit Feindbild, Ketzerverfolgung und Frauenfeindschaft). Jedes Bekenntnis (und das drückt in dem durch seine Beziehung zum Bekenntnis definierten Begriff des Glaubens sich aus) ist ein Auslachen dessen, was es als seinen Inhalt ausgibt (sh. den Streit um das Kruzifixurteil, in dem alle Heuchler sich zusammenfinden). In der Konsequenz seiner eigenen Logik ist der Glaube blasphemisch.
Die indoeuropäischen Sprachen haben das Lachen (und damit die Bekenntnislogik) zum Grund ihrer sprachlogischen Organisation gemacht (das Substantiv ist das ausgelachte Nomen – der bestimmte Artikel im Hebräischen mit dem sprchlichen Ausdruck des Lachens identisch -, die letzte Konsequenz aus dem Neutrum, an dessen Ursprung und Geschichte die der indoeuropäischen Sprachen sich erkennen läßt; das symbolische Korrelat des Neutrum in der Schrift ist die Schlange). So sind die indoeuropäischen Sprachen zu Herren-, zu Männer- und zu Weltsprachen geworden. – Was heißt im Anblick dieser Sprachlogik „Heiligung des Gottesnamens“?
Die Bildung des Neutrum gründet in der Vergegenständlichung der Vergangenheit (in der Bildung der grammatischen Vergangenheitsform, die dann die Bildung der Futur- und Präsensformen nach sich zieht: in der Vorstellung des Zeitkontinuums). Hier – durch die reflexive Gewalt des Gerichts über die Vergangenheit, die die Richtenden unter das Gericht der Vergangenheit stellt – entspringt zusammen mit dem Begriff des Wissens der Objektbegriff (und in seiner Folge das Substantiv, als Form der Vergewaltigung des ausgelachten Namens).
Hören und Sehen: Die Beziehung von Wasser und Feuer im Namen des Himmels gründet in der sprachlogischen Beziehung des Namens zur Vergangenheit. Durch die Subsumtion der Dinge unter die Vergangenheit, durch die sie zu Objekten des Wissens werden, wird die erkennende Kraft des Namens (das „Feuer des Himmels“) gelöscht. Wer den Himmel offen sieht, sieht in einen Raum, der erst mit der Sprengung der Formen der Anschauung sich öffnet: in einen Raum, dessen Form in der Kraft des Namens sich bildet und öffnet.
Hören (nicht Gehorsam), Armut und Keuschheit: Die erkennende Kraft des Namens wird durch die subjektiven Formen der Anschauung, durch die Eigentumslogik (die als dessen innerstes Prinzip den Staat begründet und beherrscht) und durch die Bekenntnislogik (die die Idolatrie, die Religionen, begründet) gelöscht.
Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß „die Distanz zum Objekt … vermittelt (ist) durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“, wäre dahin zu ergänzen, daß diese Distanz seit ihrem Ursprung in bestimmbaren Institutionen sich verkörpert, selber dingliche Form annimt: im Tempel, im Geld und in der Schrift. Alle drei Institutionen haben einen gemeinsamen Ursprung und erzeugen selber ihren gemeinsamen Grund: den Staat.
– Der Tempel, die Konzentration des Göttlichen an einem Ort, war auch ein Mittel des Kampfes gegen die Magie, ein Instrument der Entzauberung der Welt (die in dieser Entzauberung als gegenständliche Welt sich konstituiert);
– das Geld, das im Kontext der Schuldknechtschaft und nicht im Tausch entspringt (wie auch das Inertialsystem zwar in der Analyse der Stoßprozesse sich bewährt, aber ohne die Ordnung des heliozentrischen Systems, das im Gravitationsgesetz seine Begründung findet, nicht sich herausgebildet hätte) war das erste Instrument, das Herrschaftsbeziehungen in sachliche, gegenständliche, selber wieder beherrschbare Beziehungen von Dingen („Waren“) transformiert;
– und die Schrift, die die Sprache über das Hören, über ihren affektiven und dialogischen Ursprung hinaustreibt, ihre objektivierende Gewalt (und die dieser Gewalt fundierende, sie unterstützende sprachlogische Struktur: die durchgebildete Grammatik) begründet, hervorbringt und stabilisiert, eröffnet damit den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß.
8.9.1995
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