9.10.1994

„Das Wesen der Sprache wäre demnach Verantwortung“ (Levinas, Vier Talmud-Lesungen, S. 40). Was heißt „Verantwortung“? Die beiden Bücher der Chronik gehören – wie Rut und Ester, Daniel, Esra und Nehmias – zu den „Schriftwerken“, während die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige zu den „Büchern der Geschichte“ gehören.
Die Medien sind zu Riten der Vereinigung mit der Welt geworden (insbesondere das Fernsehen; Computerspiele: Initiationsriten des Apparats). War nicht die unio mystica seit je ein Instrument der Säkularisation?
Rekonstruktion der Sprache aus ihrer Beziehung zum gesellschaftlichen Schuldzusammenhang? Ist es nicht die Sprache, die von der Last befreit, indem sie sie auf sich nimmt?
Die Verschiebung vom Nomen zum Substantiv, vom Namen zum „Hauptwort“, ist die letzte Konsequenz der Unterwerfung der Sprache unter die Logik der Schrift. Läßt sich hierauf nicht das „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz bedeckt mit Hohn“ beziehen: Reflex der Verwandlung des Verbs ins Prädikat, in den Begriff? Und ist der bestimmte Artikel, der das Nomen zum Hauptwort macht, die Dornenkron‘, die das Substantiv zum Substantiv gemacht hat?
Pilatus: Die Ontologie ist der Statthalter des Inertialsystems in der Sprache.
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes macht nicht nur Ihn zum Autisten, sondern – durch das Gesetz, wonach alle Attribute Gottes Imperative sind – auch die Gläubigen. War das nicht der eigentliche Zweck der Sache?
Unter diesem Aspekt – daß die Attribute Gottes Imperative und keine harmlosen Indikative sind – die Trinitätslehre und die Opfertheologie untersuchen: Problem der Anwendung der Objektivationslogik auf Gott und ihrer Wirkungen. Hier bleibt einem das Wort von der „Rede von Gott“ (bei der Theologen wohl nur an die Predigt denken) nicht im Halse stecken?
Ist nicht der Weltbegriff, der zwangsläufig die Idee des Absoluten nach sich zieht, in sich selbst blasphemisch?
„Fremdwörter“: Ich vermute es gibt Leute, die Religion für ein deutsches Wort und Theologie für ein Fremdwort halten. (Aber ist nicht in der Tat Theologie nur innerhalb des Christentums, in der Religion des Logos, erlaubt und möglich?)
Ist nicht die Differenz zwischen der griechischen und lateinischen Theologie u.a. darin begründet, daß der Logos maskulin und das Verbum neutrum ist? Und spielt dieses Differenz nicht in die Beziehung von physis und natura, kosmos und mundus, mit herein? Das neutrale Verbum ist bereits Ausdruck der Einbeziehung des Logos ins imperiale Herrendenken. Der byzantinische Pomp ist eine Ersatzbildung für das fehlende logische Äquivalent des Herrendenkens in der Sprache, das erst im Lateinischen sich bildet.
Autonomie ist das Ziel, aber sie ist nur durch das Votum für die Armen und die Fremden hindurch zu gewinnen.
Bezeichnet nicht die List der Vernunft bei Hegel die Stelle, an der bei Carl Schmitt der dezisionistische Souveränitätsbegriff und bei Heidegger die Entschlossenheit und das Vorlaufen in den Tod steht? Ist nicht Hegels List der Vernunft ein Produkt der Instrumentalisierung der Umkehr? Die Unterscheidung von Begriff, Urteil und Schluß hat die drei Dimensionen des Raumes (ihre Anwendung auf die Sprache) zur Grundlage und gehört zu den Konstituentien des Objektbegriffs.
Schließt nicht die adamitische Benennung der Tiere die des Tierkreises mit ein? Und gehört die Geschichte der Astrologie zur Geschichte des Ursprungs der Schrift (und hängt sie zusammen mit der Bildung des Neutrum und dem Ursprung der indogermanischen Sprachen?
Was bedeutet es eigentlich für die logische Struktur des Staates, wenn es keine Alternative mehr gibt zur strafrechtlich abgesicherten Beschneidung der „Freiheit der Rede“ (Leugnung von Auschwitz)? Kann es überhaupt noch einen Staat geben, zu dessen Vergangenheit ein Verbrechen wie Auschwitz gehört? Welche Nachwirkungen hat dieses Verbrechen:
– für eine Justiz, die nicht fähig war, ihren eigenen Anteil daran aufzuarbeiten, die sich selbst zum Apparat: und damit für unzurechnungsfähig und im Entscheidenden für schuldunfähig erklärt hat,
– für eine Politik, die durch ihre eigenen Rechtfertigungszwänge sich gezwungen sieht, Entscheidungen, die sie nicht mehr zu fällen in der Lage ist, an die Justiz, die für ihre Entscheidungen nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, zu delegieren?
Gibt es eine Beziehung (oder sogar eine funktionale Abhängigkeit) zwischen dem Wert der Lichtgeschwindigkeit und der Gravitationskonstanten? Und kann es sein, daß diese Beziehung zu den Gründen der Bewegungen des Himmels und der Sterne gehört?
Hinweis zur Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft: Der kopernikanischen Wende in den Naturwissenschaften ist die konstantinische Wende in der Theologie (der Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie mit der Folge der trüben Vermischung von Gotteserkenntnis und Herrschaftsmetaphorik, insbesondere im Begriff des Absoluten) vorausgegangen. Die aufklärerische Bedeutung der Naturwissenschaften liegt darin, daß sie, indem sie die Herrschaftsmetaphorik in sich aufgesaugt hat, diese für theologische Zwecke unbrauchbar gemacht hat.


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