11.01.91

Von der geschlossenen Welt zum offenen Universum: Mit der Begründung der modernen Naturwissenschaften ist der antike Kosmos in der Tat untergegangen: im Strudel des Universums. Prinzip des Universums und seiner „Offenheit“ ist die verdinglichende Gewalt des Inertialsystems, das jedes Einzelobjekt zu einem Weltzentrum macht, ihm (allerdings nur als Objekt, d.h. ohne die Chance einer Änderung: gleichsam als reines Opfer) die Last des gesamten Universums aufbürdet. Das physikalische – oder allgemein: das naturwissenschaftliche – Objekt ist reines Exemplar eines Systems, dessen Gewalt in seiner Materialität (im Begriff der Masse und der sie beherrschenden Gesetze) sich ausdrückt. – So erweist sich die Naturwissenschaft als Erbe der Opfertheologie, deren Instrumentalisierung zu den Voraussetzungen der naturwissenschaftlichen Aufklärung gehört.
Das offene Universum ist die Bedingung der Möglichkeit des Plurals „Welten“, die Eröffnung des Abgrunds, der diese Welten von einander trennt und sie zugleich zur selbstzerstörerischen Einheit zusammenschließt, ihr den Schein des selbständigen gegenständlichen Bestehens verleiht. Heidegger hat in seiner Fundamentalontologie die Innenerfahrung dieses Abgrunds beschrieben. Das schwarze Loch ist in jedem Ding (so ist jedes Ding eine Projektion des Selbstmitleids, Ursprung und Produkt der Panik, in der die Vernunft, die Kraft der Identifikation und der Empathie sich von außen nach innen kehren, sich auflösen und verschwinden; die Panik, die objektlose Angst ist der verdrängte Grund der instrumentellen Vernunft, vor dessen Wahrnehmung nur die universale Verblendung noch schützt). – Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit: Wenn es Unsterblichkeit und ein seliges Leben gibt, dann wäre das das stärkste, ja das unwiderlegbare Argument für die Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit, die die Geschichte und die Natur mit einbezieht. Die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der realen Geschichte, in der die hypostasierte Natur das Vergessen repräsentiert, macht den zentralen Gedanken der Nachfolge: die Übernahme der Schuld der Welt (oder die Gottesfurcht), zu einer zwingenden und alternativlosen Notwendigkeit. Hier wird das Gebot der Feindesliebe verständlich; und erst hier lösen sich auch die Rätsel der Natur.
Erinnerungsarbeit ist Arbeit gegen den Sog des bleiernen Selbstmitleids und seiner gegenständlichen Derivate. (Das Bekenntnis und seine Inhalte sind im Gravitationsfeld des Selbstmitleids zunächst instrumentalisiert und dann von innen aufgezehrt und zerstört worden; Zusammenhang des Selbstmitleids mit dem Inzest-Tabu; Internalisierung im Rahmen des Ödipus-Konflikts; Zusammenbruch, Einsturz des Gewissens, Faschismus. Neurose/Psychose: Untergang der Neurose in den beiden Weltkriegen; Fortfall des Ödipus-Konflikts; Konsequenzen für die Theologie: Theologie nach Auschwitz)
Natur als Schauplatz der Geschichte: Ästhetisierung der Geschichte nach dem Weltuntergang nicht mehr haltbar; Status des Zuschauers; Affektion auf der Basis des Selbstmitleids = Kunst (Selbstmitleid hat jeder für sich, aber alle gemeinsam das gleiche: Grund des gemeinsamen Selbstgefühls). Rosenzweigs Theorie der Kunst (Zusammenhang mit dem Mythos). Ende der Kunst: Gefühl nicht mehr tragfähig.
Die aristotelische Theorie vom „natürlichen Ort“, dem alle Dinge zustreben, hat ein spätes Echo in Heideggers „Geworfenheit“ und dem „Vorlaufen in den Tod“.


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