03.09.91

Das Bekenntnis (und der dazugehörige Personbegriff) sind an die Ausbildung des formalen Rechts (an die staatliche Organisation der Gesellschaft) gebunden, das jene Objektivität (Welt als Distanz zur Welt; die Dinge als potentielles Eigentum von Personen) begründet, in der dann die Dogmenentwicklung, insbesondere die Entfaltung ihrer lateinischen Version, überhaupt erst möglich war. (Zusammenhang mit der Aufgabe des „Rechtsstaats“, alle in den Anklagezustand zu versetzen, aus dem man sich nur durchs Bekenntnis lösen kann; deshalb gibt es Staatsanwälte, und deshalb gilt das erste Bekenntnis dem Rechtsstaat, dem alle Bekenntnisgemeinschaften nachgebildet sind.) In diesem Zusammenhang gewinnt der Bekenntnisbegriff (zusammen mit seiner technisch-instrumentellen Qualität, seiner Handhabbarkeit für Herrschaftszwecke) den gleichen changierenden Bedeutungshorizont wie die Begriffe Person, Sache, Schuld. Das ist die Folge davon, daß er die Funktion und Bedeutung einer Anschauungsform im Sinne der kantischen Erkenntniskritik, der Transzendentalphilosophie, annimmt (wobei das Bekenntnis den reinen Anschauungsformen, die Person dem transzendentalen Subjekt, die Sache dem Objekt, die Schuld dem Kausalitätsbegriff entspricht: hier wird die Beziehung des synthetischen Urteils apriori zum Schuldurteil, zum richtenden Denken, hergestellt; Verdrängung der verteidigenden Instanz). Jedes Bekenntnis ist in der Tat ein (Schuld-)Geständnis. Und der Konfessionalismus begründet nicht eine Gemeinschaft von Erlösten (die „Freiheit der Kinder Gottes“), sondern einen fast ausweglosen Schuldzusammenhang.
Person und Subjekt: Während sich das Subjekt in Beziehung zum Objekt definiert, drückt der Personbegriff die Beziehung zu anderen Personen und zum Eigentum aus. Das christliche Dogma hat den Begriff des Erlösten durch den Personbegriff ersetzt (und säkularisiert: auf den Kopf gestellt). – Vgl. auch die konstitutive Bedeutung des Eigentumsbegriffs für die Distanz zum Objekt („durch die Distanz vermittelt, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“: Der Eigentumsbegriff schließt das Eigentum über den Beherrschten mit ein: über die Geschichte des Sklaventums; diese Geschichte hat sich in der des Geldes – und in der des Raumes, des Inbegriffs der Distanz zum Objekt – vergegenständlicht).
Die Idolatrie dehnt das Eigentumsverhältnis auf die Religion aus.
Bekenntnis und Recht: Auch das Bekenntnis (das dieses Eigentumsverhältnis endgültig stabiliert) ist kein Schutz gegen Gemeinheit, im Gegenteil: es ist heute zu einem zentralen Teil der Gemeinheitsautomatik geworden (dessen Genese und Wirkungsweise sich nirgend eindringlicher als an der Kirchengeschichte studieren läßt). Der Ursprung dieser Gemeinheitsautomatik liegt in der Geschichte der Sklaverei als der Urgeschichte des Eigentums (und der „Welt“, die insgesamt als potentielles Eigentum definiert ist, während der Naturbegriff an dem daraus abgeleiteten Objektbegriff sich orientiert).
Bekenntnis und Jungfräulichkeit: Instrumentalisierung des Widerstands gegen die Instrumentalisierung.
Wie heißt und was bedeutet der hebräische Ausdruck für die „Dornen und Disteln“: kann es sein, daß in den Dornen eine Beziehung zur Orthogonalität, zur Struktur des Raumes mit anklingt? (Sind Dornen die Hörner von Pflanzen? – Vgl. „Horn“ in der Schrift: Dan 77, Off 2215 und die Jotam-Fabel.)
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Rache, Recht und Orthogonalität, Orthodoxie? Kann es eine Orthodoxie ohne Opfer geben?
„Der Opfertisch werde für sie zur Falle, das Opfermahl zum Fangnetz.“ (Ps. 6923) Gilt das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen auch für die Opfertheologie?


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