Die Probleme der drei großen monotheistischen Religionen heute gründen u.a. darin, daß die modernen Naturwissenschaften schon von ihrem Ansatz her das für alle drei Religionen geltende Bilderverbot (so wie die kapitalistische Ökonomie das Zinsverbot) verletzen, ohne daß eine Alternative sichtbar wäre. Der Fundamentalismus, der alle drei Religionen von innen (bei ihren treuesten Anhängern) bedroht, ist insofern eine Antwort auf diese Situation, als er Ausdruck davon ist, daß – wie es scheint – Rettung nur noch auf der Grundlage des Verrats möglich ist, daß der Verrat mit eingebaut ist und nur die Komplizenschaft des Opfers der Vernunft diese Religionen noch am Leben erhält. Diese Komplizenschaft gleicht in allen drei Religionen nicht zufällig der faschistischen, sie ist Ausdruck des Schicksals und der Gewalt der Bekenntnislogik unter den Bedingungen des derzeitigen Stands der Aufklärung.
Durch die Naturwissenschaften (und durch die Form der kapitalistischen Ökonomie) ist die Sünde gleichsam in die Struktur der Welt mit eingewandert; diese Sünde ist die (fast unaufhebbare) Last der Vergangenheit, die sich durch die Reproduktion der Welt hindurch reproduziert, und die durch keine individuelle Moral mehr aus der Welt entfernt werden kann. Es gibt keine reale Beziehung der Moral zur Unschuld mehr; der Begriff der Unschuld selber ist keine moralische Kategorie mehr, sondern einzig eine theologische. Die Vorstellung, daß es auch einen moralischen Begriff der Unschuld gebe, leugnet die Gottesfurcht und befördert das Herrendenken.
Reflexionsbeziehungen sind unkenntlich gemachte Herrschafts- und Schuldbeziehungen; sie begründen den Verblendungszusammenhang. Das Eine ist das Andere des Anderen: Hierin (in dem Primat des Anderen: auch der Personbegriff ist eine Reflexionskategorie und steht unter diesem Primat des Anderen) gründet der Hinweis Rosenzweigs auf die verandernde Kraft des Seins.
Der Raum ist das Modell aller Reflexionsbegriffe: Im Raum ist in der Tat eine Dimension wie die andere. Und das Inertialsystem gründet in der Verräumlichung der Zeit: im Begriff der Bewegung, der die Zeit in eine quasi-orthogonale Beziehung zum Raum setzt.
Die Umkehr wird heute eher durch das Bild von der Heilung von den sieben bösen Geistern beschrieben als durch ihr räumliches Vorbild (obwohl sie hierin ihre Wurzel hat: Im Angesicht und hinter dem Rücken; unter der Herrschaft der Reflexionskategiren verschwinden das Licht und das Angesicht). Das Inertialsystem (als Grund der Reflexionsbegriffe) hat den Begriff der Umkehr nur scheinbar gegenstandslos gemacht.
Idolatrie und Opfer gehören zur Vorgeschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Sie sind Frühformen des Herrendenkens (der Objektivation und Instrumentalisierung), das dann in der Form des Inertialsystems und seiner vergegenständlichenden Gewalt sich sedimentiert und stabilisert hat, wie es scheint: fast irreversibel.
Drewermanns Kritik des Anthropozentrismus leugnet das Antlitz Gottes.
Der Personbegriff ist ein Produkt der Bekenntnislogik; seine theologische Anwendung ist der Grund der Selbstzerstörung der Theologie (Wiederkehr des Verdrängten).
Die Universität ist der Grund des Universums. Ist der gekreuzigte Logos nicht ein Realsymbol des Inertialsystems? Und ist das „gekreuzigt, gestorben und begraben“ nicht die Geschichte der Naturwissenschaft (so, daß eigentlich nur noch das „abgestiegen zur Hölle und auferstanden von den Toten“ fehlt)?
Hegel hat am Ende den Abstraktionsprozeß mit der Auferstehung verwechselt. Genau das drückt sich in seinem Begriff der Aufhebung aus.
Hegels Leidensmystik (dem Negativen standhalten) ist gnostisch: er meint, er könne sich mit dem Negativen, den Verhältnissen abfinden, wenn er sie nur durchschaut.
Wer oder was ist Mamre (heiliger Ort mit Terebinthen bei Hebron; Abraham und Isaak)? Und wer sind die kanaanitischen Völker, wenn die Amoriter die Perser sind und die Hethiter die Hethiter?
Die Abraham-Geschichte, die voller Anachronismen ist, wird erst durchsichtig, wenn man die Schwierigkeiten (das Verständnis der Realien) häuft und nicht harmonisiert.
Von Abraham und von Isaak (sowie von den Hebräern in Ägypten; auch noch von anderen?) wird immer wieder gesagt, daß sie als Fremde im Lande leben. (Kann es sein, daß das Verhältnis Elohim / Jahwe mit dem von Herbäern und Israeliten, d.h. mit der Komposition der Schrift zu tun hat?)
Woher kommt diese merkwürdige Rezeption des Begriffs des Philisters in der deutschen Burschenschaftsbewegung?
Gibt es bei Marx Materialien, Hinweise zur Geschichte der Banken?
Die Geschichte der tendentiellen Privatisierung des Christentums (die Umformung der politischen Moral in die christliche Sexualmoral) ist eins mit der Geschichte der Verinnerlichung und Vergesellschaft von Herrschaft (der Immunisierung der Religion gegen Herrsschaftskritik). Sie schlägt heute in einer Weise auf das Christentum zurück, die eigentlich nur noch im Bilde der Selbstverfluchung zu fassen ist.
Zu den Folgen der christlichen Sexualmoral gehört auch die Unfähigkeit, das „Alte Testament“ überhaupt noch zu verstehen. Durch die christliche Sexualmoral sind die Bibel-Leser zu Antisemiten geworden (bis hinein in die christliche Bibel-Wissenschaft).
Adornos Satz über das erste Gebot der Sexualmoral ist ein spätes Echo des augustinischen Satzes: ama et fac quod vis. Die Liebe ist die die verdinglichende und instrumentalisierende Gewalt der Anklage auflösende Macht.
Das Wort Johannes‘ XXIII. „Ich bin Joseph euer Bruder“ trifft den Sachverhalt genauer als er selber wahrscheinlich meinte; darin klingt auch die Rolle Josephs in Ägypten: in der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der Enteignung des Volkes, nach.
Zu Anfang: die Wormser Chassidim, nach dem Hinweis auf Hegels Erörterungen zum Problem des Anfangs der Philosophie; am Ende: der Taumelkelch.
12.09.91
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie
Schreibe einen Kommentar