01.10.91

Zum Zusammenhang von „Schicksal“ und „schneiden“ (W.v.Soden, S. 168): Nachklang im „scheiden“ im biblischen Schöpfungsbereicht (Licht von der Finsternis, Wasser oben vom Wasser unten etc.)?
Die Kurzfassung des biblischen Schöpfungsberichts, wonach Gott die Erde gegründet und den Himmel aufgespannt hat, hat zweifellos sprachliche Wurzeln, ihr gegenständliches Korrelat ist sprachlicher Natur; ihr entspricht heute die Unterscheidung von
– Wissenschaft (Begründungs-Institution, Herrschaft des Kausalprinzips; Frühform: die „sumerischen“ Omina-Listen)
– und Kunst (vom langen Atem der ästhetischen Formbegriffs bis hin zur Technik der Erzeugung von Spannung, z.B. in Literatur und Musik <Lösung des Problems der U-Musik?>).
Der Unterschied zwischen Ästhetik und Kunstkritik (zwischen Adorno und Benjamin) hängt am Begriff der Autorität, die der Kunst beigemessen wird.
Vor dem Hintergrund des „aufgespannten“ Himmels gewinnt der Sternendienst, die Sternenreligion, im alten Orient seinen besonderen Stellenwert (die Sterne „bedeuten“, weil sie der Praxis nicht zugänglich sind, nur Gegenstand der Kontemplation; sie sind gleichsam Projektionen dessen, was der Himmel „bedeutet“: der absoluten Zukunft gegen das Vergangenheits- und Totenreich des Irdischen; Projektion nur möglich im Kontext der Ausbildung frühstaatlicher Herrschaftsstrukturen, die ebenfalls die <irdische> Zukunft beherrschbar machen sollen – Sternendienst und Sprache: ist die Sprache an der Astronomie zerbrochen <Turmbau zu Babel>? – Anwendung aufs Zeitalter der Raumfahrt?).
Jedes Opfer enthält ein Stück Magie: die Vorstellung, daß man (durchs Opfer) Einfluß nehmen könne auf das Handeln Gottes und auf das Schicksal der Natur; gegen diese Opfertheologie steht das paulinische: „Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. … Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Röm 817ff; vgl. hierzu Gen 316 sowie auch Ps 10430). Der Weltbegriff als Inbegriff von Herrschaft (das Tauschprinzip) ist die Grundlage des Naturbegriffs als Inbegriff aller Objekte von Herrschaft (des Inertialsystems): Erst vor diesem Hintergrund wird das messianische „die Schuld der Welt auf sich Nehmen“ sinnvoll und verständlich.
Natur und Welt sind die Totalitätsbegriffe, die den realen Verblendungszuammenhang begründen, unter dessen Bann wir heute alle stehen. Dieser Bann ist ist für den, der ihn nicht durchstoßen kann, zirkulär, und d.h. ausweglos. Der Marxsche Satz, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt und nicht das Bewußtsein das Sein, ist zu differenzieren (und zu berichtigen): das Sein, das das Bewußtsein bestimmt, ist ein auch durchs Bewußtsein bestimmtes Sein. Es ist – konkret – ein durch vergangenes Bewußtsein bestimmtes Sein, und die Gewalt dieser Vergangenheit ist die Last, die auf uns lastet. Der Stalinismus ist nichts anderes, als der Versuch, von dieser Differenzierung gleichsam den unerlaubten Gebrauch zu machen, nämlich mit Hilfe politischer Gewalt das Sein zu bestimmen, das dann das Bewußtsein der Menschen bestimmen soll. So wurde der Marxismus (durch Instrumentalisierung) zur Ideologie.
„Du hast unsere Sünden vor dich hingestellt; unsere geheime Schuld ist das Licht deines Angesichts“ (Ps 908): Erkennen wir sein Angesicht nur im Lichte unseres Schuldbekenntnisses? (Vgl. „Israel“ – Gen 3229ff)
Die Verwechslung von Virgo und Bekenner ist der Ursprung des pathologisch guten Gewissens (des Faschismus – Zusammenhang mit der weiblichen Sonne und dem männlichen Mond?). Die Ausländerfeindschaft ist eine direkte Folge der Veräußerung des Gewissens (ins Urteil des Auslandes, der Welt): sie glaubt durch den Mord an den Ausländern das eigene schlechte Gewissen beseitigen zu können.
Die Schöpfungsgeschichte zu Beginn der Bibel ist bereits prophetisch; sie steht nicht in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Weltentstehungslehren. Aber sie benennt an der Natur deren Korrespondenz zur Prophetie. Das Chaos im Anfang der Schöpfung und die sechs Nächte, die die Schöpfungstage von einander trennen, haben – wie mir scheint – mit den sieben unreinen Geistern zu tun, die an zwei Stellen des NT erwähnt werden (zu Johannes vom Kreuz: es gibt nicht eine mystische Nacht der Erkenntnis, sondern sieben Nächte der Erkenntnis; und deren Hypostasen sind die sieben unreinen Geister, die bisher nur bei Maria Magdalena ausgetrieben wurden (d.h. Maria Magdalena ist die einzige, die die Umkehr vollzogen hat; darauf weist es hin, wenn sie als einzige im Heiligenkalender als Büßerin geführt wird, während umgekehrt dem Petrus, als Typos der Kirche, die dreimalige Leugnung vorausgesagt ist).
Die Vorstellung, daß Sternkatastrophen in der von Heinsohn u.a. vorgestellten Weise die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt hätten, gleicht der, die die Geschichte der Aufklärung aus dem Erdbeben von Lissabon herleitet. Beide werden sinnvoll, wenn man unterstellt, daß die Geschichte der gesellschaftlichen Realität und des Bewußtseins in beiden Fällen soweit vorgearbeitet hatte, daß es „nur noch“ dieses äußeren Anstoßes bedurfte, um die entsprechenden geschichtlichen Wirkungen dann auszulösen. Nur als sinnliche Korrespondenz einer vorausgehenden gesellschaftliche Naturkatastrophe konnte die reale ihre geschichtliche Wirkung entfalten. Frage an Heinsohn: Warum muß man den Ursprung des Monotheismus und nicht den der Idolatrie erklären?


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie