07.05.92

Kelch und Kreuz: Ist mit dem Kreuz im Nachfolge-Rat schon das Kreuz von Golgatha gemeint? Muß, wer das Kreuz auf sich nimmt, den Kelch trinken?
Die Unbelehrbarkeit (Produkt aus Schuld und Verstockung) ist eine Konsequenz aus der Sünde wider den Heiligen Geist. Sie kann weder in dieser noch in der kommenden Welt vergeben werden.
Jungfrauengeburt und die sogenannte „Enttäuschung der Parusieerwartung“: In beiden spielen die Mechanismen eine Rolle, die man in dem Konzept von Objektivierung und Instrumentalisierung zusammenfassen kann.
Alle Kosmogonien haben mit dem Urknall gemeinsam, daß sie sich um die Idee der Schöpfung herummogeln, den Naturbegriff als Totalitätsbegriff festhalten wollen.
Zu den Confessiones des Augustinus:
– Für ihn war das Bekenntnis als Symbolum in erster Linie etwas, das sich in seiner Beziehung zu Gott abspielte; es war esoterisch, der Gottesfurcht oder der Scham unterworfen.
– Vor den Menschen war es vorab ein Schuldbekenntnis, ein Sich-wehrlos-Machen, ein „Akt der Demut“, und zugleich ein Bekenntnis der Befreiung, mit dem Anreiz für andere, es nachzumachen. Hierin ist der ursprüngliche Sinn des Bekenntnisses noch sichtbar, aber hier ist genau der Punkt bezeichnet, an dem es umkippt in ein konfessionelles Bindemittel.
– Das zweite große Bekenntnis in der europäischen Geschichte, das des Rousseau, ist eigentlich nur noch exkulpatorisches Bekenntnis, Bekenntnis einer schuldlosen Schuld, das glaubt, im „Zurück zur Natur“ einen Fluchtweg aus dem Schuldbewußtsein, aus der Gottesfurcht gefunden zu haben, und das dann zwangsläufig in den christologisch instrumentierten Naturbegriff führt. Es kein Zufall, daß Rousseau, die Etablierung des modernen Naturbegriffs, diese zugleich ungeheure und subkutane Wirkung gehabt hat, in der gesamten Geschichte von Spinoza über den deutschen Idealismus bis hin zu Derrida.
– Welche Sünden bekennt Augustinus:
. die Gier und die Eifersucht des Säuglings,
. den Diebstahl des Heranwachsenden und
. die Sexualität des jungen Mannes, wobei er das moralische Problem nicht in der Trennung von der Frau, mit der er zusammengelebt hat, sieht, sondern nur in der sexuellen Beziehung, die er vor der Trennung gehabt hat. Diese Kälte ist die Kirche seitdem nicht mehr losgeworden. Indiz des Zusammenhangs der kirchlichen Unsterblichkeitslehre mit dem bürgerlichen Prinzip der Selbsterhaltung, das über diese Unsterblichkeitslehre (und durch die Aufnahme des Tauschprinzips in die bürgerliche Moral) gleichsam seine theologische Weihe erhält.
– Beim Augustinus ist der Kontext des ungeheuerlichen Wortes vom Binden und Lösen noch mit Händen zu greifen. Hat nicht dieses Binden und Lösen nicht sehr viel mit dem gordischen Knoten zu tun: den Alexander, Schüler des Aristoteles und erster Welteroberer, nur durchschlagen und nicht gelöst hat? Alexander ist geradezu die historische Verkörperung jener Beziehung von Philosophie und Herrschaft, die dann durch die Rezeption der Philosophie und durch die Übernahme des Erbes Roms in der Konstantinischen Ära von der Kirche übernommen und verinnerlicht worden ist, mit all den Folgen, die das gehabt hat.
– Im Anfang (im Zusammenhang mit dem Satz „inquietum es cor nostrum …“) kommt die Differenz zwischen dem Anrufen Gottes und der Kenntnis Gottes zur Sprache, ohne daß sie wirklich entfaltet wird. Ist nicht das „inquietum …“ ein Fluchtversuch aus dem Bereich der Gottesfurcht?
– Ist nicht der augustinische Gott – wie der philosophische -stumm, und wird er nicht gerade durch die dogmatische Logos-Spekulation zum Verstummen gebracht? Was ist das für ein Gott, in dem ich ruhen könnte?
Zur euklidischen Geometrie: Ein Dreieck in einer Ebene enthält sechs Bestimmungselemente: drei Längen und drei Winkel. Von diesen sechs Elementen müssen drei gegeben sein, um ein Dreieck eindeutig zu bestimmen, mit der einen Ausnahme: Durch drei Winkel werden nur ähnliche, nicht gleiche Dreiecke bestimmt (Grund ist u.a., daß aufgrund der mathematisch bestimmten Winkelsumme der dritte Winkel keine unabhängige Größe darstellt, sondern durch die Festlegung der beiden anderen mitbestimmt ist).
Hat das Rosenzweigsche Konstrukt Gott Welt Mensch etwas mit dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zu tun, oder auch mit dem Verhältnis von Raum und Umkehr: Oben/Unten, Rechts/ Links und Vorne/Hinten (und zwar genau in dieser Reihenfolge)? Und gründet die Ebenbildlichkeit des Menschen in der Abbildlichkeit, in der abbildlichen Beziehung des Vorne und Hinten zum Oben und Unten? Für Gott gibt es kein Hinten, für den Menschen kein für ihn gegenständliches Unten (aus diesem Satz läßt sich die gesamte Moral ableiten).
Die Subjektivität der kantischen Formen der Anschauung wird bei Kant selber nachgewiesen durch die Antinomien der reinen Vernunft.
Israel ist der Augapfel Gottes; deshalb entspringt mit dem Versuch, der Gottesfurcht zu entgegehen, gleichsam hinter den Rücken Gottes zu gelangen, der Antisemitismus.
Es ist wahr: Mit dem Ursprung des Protestantismus war die häresienbildende Kraft in der Kirche erschöpft. Aber ist die Frage nicht interessanter: Wo und unter welchen Bedingungen ist die häresienbildende Kraft in der Kirche entstanden, wo ist sie entsprungen? Die Lösung dieser Frage würde die Lösung des Rätsels des Christentums mit einschließen.
Die apologetische Bemerkung in der Einleitung zu den Minima Moralia über die Bedeutung der individuellen Erfahrung für die Philosophie wäre ihres apologetischen Charakters zu entkleiden und als schlichter sachlicher Quellpunkt einer neuen Selbstbegründung der Philosophie zu bestimmen.


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