Die Christen haben das Lamm zum Sündenbock gemacht. Sie haben IHM die ganze Schuld aufgelastet; seitdem stehen sie in Gefahr, die Juden (als Gesamtschuldner) in Solidarhaftung zu nehmen.
Das, was man so leichthin das naturwissenschaftliche Weltbild nennt, ist der Inbegriff der ausweglos unerlösten Welt. Das in Verbindung mit „Religion“ ergibt eine hochbrisante Mischung. Die Fundamentalismen geben einen Vorbegriff dessen, was hieraus einmal hervorgehen kann.
Die Physik: das ist der Benjaminsche Schock als irreversibler Dauerzustand. Hängt es mit der Prolongierung des Schocks heute zusammen, wenn das, was Benjamin die „göttliche Gewalt“ nennt, zu fundieren (oder zu berichtigen wäre) im göttlichen Zorn, wobei im Begriff des Zorns ein sprachliches und ein naturales Element mitklingen: die Verbindung von treffendem Wort und Feuer („… und ich wollte, es brennte schon“).
Die Beziehung von Sprache und Natur, die Kopernikus verwirrt und zerstört hat, hat sich durch Einstein wieder eröffnet.
Die Attraktivität der Jungschen Lehre vom kollektiven Unbewußten und von den Archetypen rührt daher, daß sie daran erinnert, daß die Verdrängungsprozesse nicht nur im einzelnen Subjekt sich abspielen, sondern mit objektiven historisch-gesellschaftlichen Prozessen verbunden sind; diese Einsicht wird nur durch die Psychologisierung wieder entschärft, der objektive Katalysator dieser Prozesse aus dem Blickfeld gerückt. Es wird ein gefährliches Gemisch erzeugt: der Effekt der Verdrängung, die Exkulpierung, soll nicht preisgegeben werden und wird nicht angetastet. Die Produkte der Exkulpierung werden verharmlost; man kann dem Schrecken ins Gesicht schauen, weil man sich ihm angleicht. Nicht zufällig verfallen insbesondere religiös gestimmte Leute, wie Alt und Drewermann, dieser Attraktivität. Das, was zu entschlüsseln wäre, die Psychologisierung, rührt daher, daß die objektive Instanz, die diese Verdrängungsprozesse erzwingt und fast irreversibel macht, bis heute der Kritik sich entzieht: die naturwissenschaftliche Aufklärung und die durch Geldwirtschaft definierte Gesellschaft.
Die Tatsache, daß der Raum drei Dimensionen hat, ist ein Hinweis darauf, daß auch der Objektivationsprozeß – und mit ihm der Verdrängungsprozeß – eine reale Grenze haben muß. Diese Grenze ist beschrieben in der Geschichte der drei Leugnungen; auf sie verweisen zusätzlich die sieben unreinen Geister.
Die Geschichte der christlichen Theologie als Teil dieses Objektivations- und Verdrängungsprozesses war so nur möglich auf der Basis und mit Hilfe der christlichen Sexualmoral.
Auch die Philosophie ist eine Art der Identifikation mit dem Aggressor: nämlich der Identifikation mit dem Denken der Anderen (als Ursprung des begrifflichen Denkens).
Begriffe wie Ereignis, Gemeinheit, Tatsache bilden eine Konstellation, in deren Zentrum der Weltbegriff steht: Mithören muß man im Ereignis die Beziehung Eigentum (Wilhelm von Humboldt schreibt Eräugnis: das ins Auge Fallende; gibt es eine sprachliche Beziehung zwischen Auge und Eigen), in der Gemeinheit die Beziehung zu Mein und zur Meinung, und in der Tatsache das Moment der Tat (in jeder Berufung auf die Tatsachen ist der Hinweis auf den Sündenfall mit enthalten).
Fichte und Goethe haben etwas wesentliches getroffen, wenn sie im Hinblick auf den Anfang des Johannes-Evangeliums den Logos glauben durch die Tat ersetzen zu müssen („Im Anfang war die Tat“, und Fichtes Begriff der Tathandlung).
Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen: Heißt das nicht doch nur, daß sie, solange die Kirche besteht, sich nicht schließen werden?
07.08.92
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