16.10.92

Meinen die biblischen Begriffe Keuschheit (Jungfräulichkeit) und Arglosigkeit den gleichen Sachverhalt (das Gegenteil vom „Aufdecken der Blöße“)? Ist dann nicht unsere heutige Öffentlichkeit (mit den Verkörperungen des Aufdeckens der Blöße in den Medien, allen voran BILD) in einem sehr viel tieferen Sinne als nur im moralischen obszön?
Ist das Aufdecken der Blöße der Kontrapart zur Übernahme der Schuld (der pornographische Grund der Sexualmoral)?
Der Johannes Scottus Eriugena bezeichnet insofern eine Grenze in der Geschichte der Philosophie, als auch er – wie später Marx im Verhältnis zu Hegel – den Weltbegriff der Philosophie durch einen Naturbegriff ersetzt, daß er diesen Naturbegriff als Totalitätsbegriff dann aber in sich selber differenziert durch sein Verhältnis zur Schöpfung. Diese innere Differenzierung des Totalitätsbegriffs Natur kehrt wieder in Rosenzweigs Konzept des Stern der Erlösung, in dem es ebenfalls nicht nur eine, sondern mehrere, nach inneren Kriterien differenzierte „Naturen“ gibt, die dann aber bloß gnoseologische Bedeutung haben: aus denen nicht unmittelbar, sondern durch „Umkehr“ die Theologie dann erst hervorgeht. Mensch, Welt und Gott bei Rosenzweig (seine drei „Naturen“): hängen sie nicht zusammen mit den Beziehungen von vorn und hinten (Mensch), rechts und links (Welt), oben und unten (Gott), und lassen die verschiedenen Naturbegriffe nicht hieraus sich herleiten?
Dem Untergang Sodoms geht die massive Fremdenfeindlichkeit der Einwohner Sodoms in der Geschichte mit Lot voraus. Was bedeutet in diesem Kontext die Geschichte mit den Töchtern Lots, die anfangs von Lot als Ersatz für die Fremden, die unter seinem Schutz stehen, dem Mob angeboten werden und später dann ihren Vater trunken machen, um durch Inzest die Nachkommenschaft zu sichern (vgl. die Geschichte mit Rahab in Jericho, auch die mit Juda und Tamar). Und was haben die Töchter Lots mit Ham zu tun, der die Blöße seines betrunkenen Vaters sieht, während seine Brüder sie zudecken. Ham wird danach zum Knecht Sems und Japhets.
Ableitung der Raumvorstellung und des Weltbegriffs: Den Schrecken, den wir selber nicht ertragen, den legen wir auf andere.
Die Schlange ist das klügste aller Tiere, aber auf dem Bauche soll sie kriechen und den Staub fressen, den Adam produziert. Darauf bezieht sich das „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“. (Vgl. hierzu Ranke-Graves: Hebräische Mythologie, S. 116)
Die drei Leugnungen Petri sind Leugnungen seiner Zugehörigkeit zu Jesus („.. auch einer von ihnen“): sie sind Verweigerungen der Nachfolge (deshalb Hinwegnahme, nicht Übernahme der Schuld, mit all den Konsequenzen, die das gehabt hat). Wer ist die Magd des Hohepriesters (bei Johannes die Pförtnerin), und wer sind die Umstehenden?
Zum Bekenntnis des Petrus „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ gehört auch die unmittelbar anschließende Geschichte mit dem „Weiche von mir Satan“ und dem „Du denkst die Gedanken der Menschen, nicht Gottes“.
Physei und thesei stehen als Gegensätze in einem Reflexionsverhältnis: das physei ist ein Produkt des thesei. Genau hier entspringt der Weltbegriff. Ohne das, was Hegel das Setzen nennt, würde es das, was in der Hegelschen Philosophie Welt heißt (und die zentrale Funktion dieses Begriffs in seiner Philosophie), nicht geben. Genauer: Ohne das Setzen (das thesei), ohne den Schein und ohne die List der Vernunft würde es die Welt nicht geben.


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