09.11.92

Die Theologie steht heute vor der Aufgabe, aus einem Schutt- und Trümmerhaufen das zerstörte Haus zu rekonstruieren. Dabei wird man das Augenmerk vor allem auf zwei Dingen richten müssen:
– auf das System der zerstörenden Kräfte: ihre Angriffspunkte, ihre Richtung, ihre Gewalt und
– auf die Bruchstellen der Trümmer: welche ineinander passen.
Aber dieses Haus, das aus den Trümmern zu rekonstruieren wäre, hat es als ganzes in der Geschichte nicht gegeben. Erst mit ihrer Zertrümmerung sind die Trümmer zu Trümmern des Hauses geworden, das aus ihnen jetzt zu (re-)konstruieren ist. Man kann es auch in diesem Bilde sehen: Hier entsteht das Chaos, aus dem die Welt erschaffen wird.
Frage: Wäre die Gnosis ohne das Urschisma (ohne die antisemitische Wendung, die sie da genommen hat, oder: wenn sie den Staat als Demiurgen begriffen hätte) wahr gewesen?
Kritik und Reflexion sind zwei getrennte und doch zusammengehörende Verfahrensweisen, sie dürfen auf keinen Fall verwechselt und auch nicht falsch verknüpft werden. Kritik ist Herrschaftskritik, Reflexion löst den Bann, die Verblendung; und das eine geht nicht ohne das andere. Theologie im Angesicht Gottes geht nur durch den Abstieg zur Hölle hindurch (Befreiung des Feuers durch Reflexion der Wasser). Schuld-, Herrschafts- und Verblendungszusammenhang: Erkenntnis ist heute nur noch durch Schuldreflexion und Herrschaftskritik hindurch möglich. Aber genau das hat das verdinglichte Dogma im Verein mit der Sexualmoral verhindert.
Die Konstitution des Naturbegriffs als eines Totalitätsbegriffs war erst unter christlichen Prämissen möglich, die des Weltbegriffs unter den Prämissen der Idolatrie. So sind beide Begriffe Epochenbegriffe.
Das Konstruktionsprinzip des Sterns der Erlösung wird verfehlt, wenn man sich in das Eingangsproblem nur einfühlt (die Rosenzweigsche „Todesangst“ auf seine private, anstatt auf die allgemeine: politische und philosophische Weltkriegserfahrung bezieht).


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