10.11.92

Zur Kritik des Tauschprinzips: Der Preis, das Opfer und die Strafe.
Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen: Das Inertialsystem wird nicht siegen. Und ist hiernach die Rücknahme der Verurteilung Galileis, und zwar der Form, nicht der Sache nach, ein Teil der Selbstverfluchung?
– Sollte der Papst wirklich gesagt haben: Galilei, ich verzeihe dir, so klingt das, als wenn auch die Deutschen eines sich bereit erklären würden, den Juden Auschwitz zu verzeihen.
– Und wenn der Papst die Männer der Inquisition mit dem Hinweis auf den „guten Glauben“, in dem sie gehandelt hätten, verteidigt, so wird man daran erinnern müssen, daß mit dem gleichen Argument („fehlendes Unrechtbewußtsein“) die ganze Nazijustiz freigesprochen wurde, ja daß mit diesem Argument die Täter selber (in Auschwitz und den anderen KZs), die auch glaubten, für eine gute Sache zu handeln, nicht hätten schuldig gesprochen werden dürfen. Auch der Fremdenhaß und der Antisemitismus sind bona fide geschehen.
Das „Herr vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, kann und darf niemand auf sich selbst anwenden (dieser Aspekt, der eine seiner Wurzeln in der paulinischen Gesetzeslehre hat, gehört zu den Gründen der Theologie).
Das bona fide gehört zu den Wurzeln der Perfidie, die die Kirche seit je an den anderen (insbesondere an den Juden) verfolgt hat.
Zur Anzeige der Frankfurter Sparkasse in der FR von heute: Dies ist der unverhohlene Aufruf dazu, Frankfurt endlich mieterfrei zu machen. Der Hinweis darauf, welche Gewinne z.Z. aus den Mietsteigerungen gezogen werden können, ist selber eine der Hauptursachen der Mietsteigerungen. Hier (an der Grenze, an der Politik, Ökonomie und Reklame in einander fließen) läßt sich verdeutlichen, wie Anschauungen, die vorgeben, ideologiefrei zu sein, fast naturgesetzlich und zwangsläufig Zustände begründen, die Haß auf die Fremden dann als Blitzableiter brauchen, d.h. zum Ideologie-Generator werden. Diese Reklame verschweigt nicht mehr nur den Tod, sondern sie gehört zu den Schreibtisch-Ursachen des Mords. Heute glaubt die Politik insgesamt, durch Perhorreszierung des Denkens ideologiefrei leben zu können.
Der Kampf gegen die Fremdenfeindlichkeit unter dem Titel Rassismus ist ohnmächtig und hilflos, weil nach dem Modernisierungsschub, den der Faschismus geleistet hat, die Brutalität die Rechtfertigung durch den Rassismus nicht mehr braucht, sondern schlicht und einfach nur noch auf Fremdheit reagiert. Und die, die heute als Nazis sich gerieren, haben das entweder noch nicht gemerkt (und sind noch dümmer, als die Nazis es schon waren), oder sie verkleiden sich bloß aus Reklamegründen, nutzen das Nazibild als Wirkungsverstärker.
War die Gnosis nicht ein Stück offener Projektion, steckte der Demiurg nicht in der logischen Fluchtlinie jener Gestalt der Theologie, die durch Zuhilfenahme der Philosophie von ihrem jüdischen Ursprung glaubte sich emanzipieren zu müssen? Der christliche Gott trägt seit den Anfängen der hellenisierten Theologie demiurgische Züge; so war der Zwang, sie auf den eigenen Ursprung zu projizieren, fast unwiderstehlich. In der Gnosis hat die Kirche erstmals ein Stück ihrer selbst verdammt, ohne sich real davon befreien zu können. Und hat die Kirche nicht seitdem in ihren Feindbildern das Unerlöste in sich selber gehütet und gepflegt?
Seid arglos wie die Tauben: Steckt nicht in jedem Wohnen ein Stück „Argwohn“?
Rankes Satz, es sei Aufgabe des Historikers zu erkennen, wie es denn eigentlich gewesen sei, unterschlägt das Was. Er vernebelt damit, daß für den Historiker dieses Was vorgegeben ist durch sein (damals vor allem nationales) Interesse. Nur wer das nicht mehr zu reflektieren bereit ist, für den bleibt nur das Erkenntnisziel, wie es den eigentlich gewesen sei. Das Was erscheint als Objekt der freien Wahl.
Randbemerkung hierzu: Spielt hier nicht auch die merkwürdige Beziehung der Fragewörter zu den bestimmten Artikeln mit herein, die Beziehung von wer wie was zu der die das?
– Hier steht das Wie in einer noch unaufgeklärten Beziehung zum femininen Artikel. Hängt das Wie mit der Instrumentalisierung des Weiblichen zusammen, die die patriarchalische Sprache insgesamt charakterisiert? Und
– hängt es nicht auch damit zusammen, daß in den indogermanischen Sprachen im Weiblichen Genitiv und Dativ (und im Weiblichen und im Neutrum Nominativ und Akkusativ) nicht zu unterscheiden sind. Das aber heißt, daß das Weibliche wie das Neutrum im strengen Sinne subjektlos sind (keinen Nominativ haben), nur als (aus dem Akkusativ abgeleitetes) Objekt vorkommen, und daß im Weiblichen darüber hinaus durch die Nichtunterscheidung von Genitiv und Dativ das Herrschafts- und Besitzverhältnis des Genitiv von der Geschenk- und Gnadenbeziehung des Dativ nicht sich trennen läßt: die Differenz von Hingabe und Vergewaltigung (ähnlich wie die Gemeinheit überhaupt) in der Sprachstruktur nicht bestimmbar ist.
– Die Trennung von Masculinum und Neutrum, von Person und Sache, ist im Femininum gegenstandslos; das Neutrum ist ein abgespaltener Teil des Masculinum: deshalb gelten Frauen als unsachlich, als der Logik nicht fähig.
– Frage: Wie hängt das zusammen mit der Bildung des Futur II (dessen Ursprung sich herleiten läßt aus dem Ursprung des Privateigentums, der neuen Bedeutung der Vaterschaft und seiner Beziehung zur Funktion der Erbschaft): liegt hier nicht der Grund der Trennung von Person und Sache, von der das Weibliche ausgenommen ist?
– Wie hängt diese Sprachstruktur mit dem Ursprung des Objektbegriffs, mit dem Begriff des Schicksals und der Geschichte seiner Verinnerlichung in der Gestalt des bürgerlichen Subjekts und im Ursprung der Philosophie zusammen?
– Ist dieser Zusammenhang des Masculinum, Femininum und Neutrum nicht im Sündenfall, im Verhältnis von Adam, Eva und der Schlange vorgebildet; verweist nicht insbesondere die Geschichte mit dem Staub (zu dem Adam wird, und von dem die Schlange sich nährt) auf den besonderen Charakter des Verhältnisses von Männlichem und Sachlichen? Das Neutrum ist die Schlange, die auf dem Bauche kriecht und Staub frißt.
Unter der Herrschaft des Weltbegriffs wurde das Antlitz der Erde entstellt und die ganze Schöpfung in der Naturhölle eingesperrt.
Die andere Bedeutung des Futur II: Es wird (wohl so) gewesen sein, ist zu ergänzen durch das „Wenn du es sagst“. Hier wird die Autorität von der Sache in die Person zurückgenommen und zugleich relativiert. Hier reflektiert sich die Unterscheidung von Person und Sache, die im Männlichen gründet. Das Logozentrische des Indogermanischen ist der Widerpart des Logos.
Hängt die Logik jener „Tiefenzeit“ bei Stephen Jay Gould nicht mit jener Logik zusammen, die die Reklame heute zu einem Mordinstrument macht, und mit der gleichen Logik, die die Politik von den realen Erfahrungen der Menschen auf eine fast nicht mehr nachvollziehbare Weise entfernt? Das aber heißt, ist sie nicht ein Teil jener Logik, die heute die Welt insgesamt in sodomitische Zustände hineintreibt


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