18.12.92

Die Natur ist der Inbegriff des Hinter dem Rücken, die Welt der Inbegriff des Über dem Kopf. Damit hängt es zusammen, daß der Naturbegriff die Idee der Auferstehung, und der Weltbegriff die der Schöpfung leugnet (beide sind zusammen entsprungen mit dem Begriff des Wissens: der „mathematisch“ begründeten Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden). Nicht zufällig hat sich der Weltbegriff in Untersuchungen, die unter dem Titel „peri physeos“ liefen, herausgebildet (Zusammenhang mit den politischen Begriffen Naturalisierung und Naturrecht?).
Die Welt konstituiert sich im Schuldzusammenhang, die Natur im Herrschaftszusammenhang, das Wissen im Verblendungszusammenhang.
Hegel hat den Krieg als (zwischenstaatlichen) Naturzustand bestimmt. Dahinter stand die Einsicht, daß Recht und Gesetz nur im Zusammenhang des Gewaltmonopols eines Staates begründbar sind. Der Nachkriegsversuch der „entwickelten“ Staaten, große Militärmaschinerien aufzubauen, um ein Instrument abschreckender Gewalt nach außen zu installieren, erweist sich heute (insbesondere nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus) zunehmend als illusionär, als unzulässige Übertragung von Innenerfahrungen auf Außenverhältnisse. Vietnam, Golfkrieg und heute Jugoslawien sind Stationen eines Prozesses, der mit zunehmender Deutlichkeit die Realitätsfremdheit dieses Konzepts beweist, die Unfähigkeit, Zwecke und Mittel in ein rationales Verhältnis zu bringen. Die Unangemessenheit ist zum einen in dem Problem der Größenordnung begründet: Man kann mit einem Vorschlaghammer keine Knöpfe annähen. Sie manifestiert sich zum andern an dem Zusammenhang des demokratischen Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht mit dem, was Militärs gerne den Geist der Truppe nennen: Volksheere sind einsetzbar nur im Kontext einer deutlich erkennbaren Innen-Außen-Grenze, im Kontext eines politischen Nationalismus, der den Feind an der Grenze lokalisiert und dingfest macht (den französischen Erbfeind, die bolschewistische Weltmacht der andern Seite der vormals geteilten Welt). In einer Situation,
– in der die Grenzen fließend werden:
. die „nationalen“ (sprich Wirtschafts-)Interessen über den ganzen Globus sich ausbreiten,
. der „Feind“ als realer Fremder (als „Asylant“ oder „Wirt-schaftsflüchtling“) im Innern des Landes auftaucht und
. die Menschenrechtsprobleme draußen und mit ihnen der moralische Druck, endlich einzugreifen, dem Unerträglichen ein Ende zu machen, den Fernsehbürgern täglich ins Wohnzimmer geliefert werden,
– in der jedoch zugleich Problem und verfügbare Lösungsmittel sich als inkompatibel, als systemfremd, erweisen: Man kann -ohne Rückfall in einen ganz anders brutalen Nationalismus -.den ökonomischen Kolonialismus nicht ohne weiteres militärisch absichern,
. die „Asylantenflut“ nicht mit militärischen Mitteln eindämmen und
. Brügerkriege nicht mit Waffensystemen, die auf Großkonflikte ausgelegt sind, befrieden,
in einer solchen Situation erwecken die Einrichtung eines Volksheeres und die vorhandenen Waffensysteme nur noch den Eindruck des Unnützen und der Hilflosigkeit. Aber welche Folgen ergeben sich im Falle des Versuchs einer Lösung durch „Eingreiftruppen“ nach dem Modell Berufsheer oder Fremdenlegion?
Was ist eigentlich von dem moralischen Anspruch der NATO oder auch der UNO zu halten, wenn sie vor den Drohungen eines Söldnerführers („dann werden Blauhelme als Geiseln genommen“) zurückweicht und darauf verzichtet, Beschlüsse, die den Greueln ein Ende machen könnten, durchzusetzen?
Die Logik, die die Regierenden dazu bringt, gegen die grassierende Fremdenfeindschaft anstatt auf die politische Moral auf die moralischen und wirtschaftlichen Wirkungen im Ausland sich zu berufen, gehört zu den systemimmanenten Gründen der Fremdenfeindschaft. Das Fatale ist, daß diese Logik in den Verhältnissen, in dem erreichten Weltzustand selber, begründet ist.


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