Das Ergebnis der kantischen Vernunftkritik war, daß jede gegenständliche Erkenntnis sich in eine Zwangslogik verstrickt, die die Erkenntnis der Dinge zugleich auch verhindert. Im Zusammenhang dieser Logik erwies sich Kant zufolge die Erkenntnis der Dinge, wie sie an sich sind, als unmöglich. Der Sinn und die Bedeutung der kantischen Lehre von den synthetischen Urteilen apriori liegt auch in dem Nachweis, daß wir, indem wir uns diesem Erkenntnisprozeß überlassen, einer Mechanik Raum geben, die uns das Denken abnimmt, es gleichsam für uns zu leisten scheint, daß wir einer Logik verfallen, die gleichsam automatisch funktioniert, und die wir, solange es uns nicht gelingt, sie durch kritische Reflexion aufzusprengen, nicht mehr unter Kontrolle bekommen. Hier liegt der Grund des von Marx so bezeichneten falschen Bewußtseins, zu dessen Absicherungen die Begriffe Natur und Welt gehören.
Steht nicht das Tischgebet in der Tradition des Opferrituals, und ist die Mahlzeit selber nicht ein Relikt des Opfers, das nicht zufällig im Deutschen Gericht heißt? Erst das Herrendenken, dem das Richten zur zweiten Natur geworden ist, betet nicht mehr: glaubt nicht mehr an die Notwendigkeit und Möglichkeit von Versöhnung. Sind nicht die Naturwissenschaften, insbesonder die Chemie, das vergegenständlichte und vergesellschaftete Fressen, das bis heute vergeblich auf das versöhnende Gebet wartet?
Die Intention des Tischgebets begreift nur, wer darin das eschatologisch-apokalyptische Moment wahrnimmt: Oculi omnium in te sperant, Domine. (Und weiter: Du gibst ihnen die Speise zur rechten Zeit; du tust deine milde Hand auf und erfüllst alles, was da lebt, mit Segen.)
Was hatte es eigentlich mit den Taubenhändlern und den Geldwechslern im Tempel im Evangelium auf sich und mit den Kaufleuten und Spediteuren in der Apokalypse? Ist uns das nicht ebenso (und aus dem gleichen Grunde) unverständlich, wie der Zusammenhang des Ursprungs der Geldwirtschaft und der Schriftkulturen mit der Idolatrie, dem Sternendienst und dem Opferwesen: mit den Tempelreligionen? Was war insbesondere mit den Kanaanäern (den „Händlern“) und ihrer Molochreligion? Waren nicht die Phönizier Kanaanäer (und wie diese Hamiten: zum Knechtsein Verfluchte)?
Das Wort „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ ist eine Verschärfung des achten Gebots „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“. Es ist ein Indiz für die gesellschaftliche Veränderung, auf die Jesus die der jüdischen Tradition angemessene Antwort geben wollte: Erst mit der beginnenden, in der Philosophie und dem Weltbegriff sich selbst begründenden Vergesellschaftung von Herrschaft wird auch das Richten vergesellschaftet.
Institutionen wie Zölibat, Ohrenbeichte, überhaupt die Festlegung der Sakramentenlehre, die Dogmatisierung des Fegfeuers, die scholastischen Universitäten, sind alles Einrichtungen im Kampf gegen den Islam, in der Abgrenzung gegen ihn, zugleich aber auch Produkte der Islamisierung des Christentums.
25.01.93
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