02.02.93

Bezeichnet nicht das Kreuz (das im NT schon vor der Passion und dem Kreuzestod als ein Inbegriff der Nachfolge erscheint) den Ursprung und das Medium der Objektivierung: des Zum-Objekt-Machens?
Kreuz und Kelch: Das Kreuz als Orthogonalitätssymbol (Ursprung der Verdinglichung) ist ein Reflexionssymbol des Kelches (Symbol der Herrschaftsverblendung). Kreuz und Kelch verhalten sich wie Welt und Natur.
Die Kirche: Ist das nicht der Abstieg zur Hölle, und das einzige, was ihr verheißen ist, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden (Mt 1618), bedeutet dann nur: daß sich die Pforten der Hölle sich hinter ihr nicht schließen werden. Mehr noch: Ich werde die die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein. (1619)
Hat nicht die Kirche seit je alle Symbole ins Positive (ins Erbauliche) umgelogen?
Seit dem Zusammenbruch des Faschismus, mit dem der autoritäre Kern des kirchlichen Glaubens- und Bekenntnisbegriffs zerstört wurde, ist die Kirche insgesamt von der Furie des Verschwindens ergriffen. Johannes XXIII war der erste, der versucht hat, den autoritären Kern durch Erinnerung aufzusprengen, aber spätestens Johannes Paul II hat in paranoider Panik das Alte zu retten versucht und damit das Verschwinden nur beschleunigt. Heute verschwindet eine Position nach der anderen.
War nicht das Marxsche Konzept der Versuch einer Wiedergewinnung der Prophetie; aber daraus hervorgegangene politische Sozialismus (insbesondere der „real existierende Sozialismus“), war er nicht die erste Gestalt des modernen Fundamentalismus? Der Marxismus hat gleichsam (ähnlich wie in der Frühzeit der Islam) in Kurzfassung die Kirchengeschichte wiederholt. In beiden Fällen war die Dogmatisierung (Bildung einer ideologisierten Orthodoxie) eine Folge der enttäuschten Parusieerwartung und der Anpassung an die Welt.
Gott will nicht, daß das Wort leer zu ihm zurückkehrt. Das leere Wort ist der Begriff, der sich nur äußerlich auf ein Objekt bezieht, seine benennende Kraft verloren hat.
Die Erkenntnis unterscheidet sich vom Wissen dadurch, daß sie sich nicht restlos vergegenständlichen läßt: daß sich das prophetische Moment darin nicht gänzlich tilgen läßt. Der Bendorfer Satz, daß nur zwei Positionen zur Prophetie zulässig seien:
Entweder man ist selber Prophet, oder man ist Objekt der Prophetie; unzulässig ist die Position der neutralen Zuschauers, dieser Satz ist dahin zu verschärfen, daß man danach eigentlich nur noch Prophet sein darf. Jede andere Position ist verworfen.
Am Ende des „Ursprungs des deutschen Trauerspiels“ hat Walter Benjamin die dämonischen Konnotationen des Begriffs des Wissens benannt (zusammen mit einem bedeutenden Hinweis auf den Zusammenhang von Wissen und Lachen, „Gelächter“). Nicht der Glaube, sondern die Erkenntnis bezeichnet den Gegenpol zum Wissen. Reines Wissen ist dämonisch, reine Erkenntnis wäre Prophetie. Und Jesus hat zwar nicht gelacht, aber die Dämonen ausgetrieben.


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