Judas, der Verräter, oder zum (christologischen) Ursprung des Objektbegriffs und über die Verstrickung der Unschuldsfalle (gemeinsamer Ursprung der Opfertheologie und des moralischen Inertialsystems): Die Empörung über den Verräter versetzt den Empörten in die Opferrolle, sie lähmt ihn, erweckt in ihm das Selbstmitleid des unschuldigen Opfers, läßt ihn die exkulpatorische Macht der Empörung genießen, entsubjektiviert ihn, indem sie mit der Schuld auch die Verantwortung für sein Schicksal auf andere abschiebt, und macht ihn unfähig, seine Lage anders denn als die eines ohnmächtigen Objekts zu begreifen. Das Verrätersyndrom gehört zur Verschwörungslogik, der – nach einem Wort Adornos – die Welt sich immer mehr angleicht, die jedoch die Welt zugleich falsch abbildet. Der Welt- und Naturbegriff, und in ihrem Kern die Raumvorstellung, sind ein Produkt dieser Verschwörungslogik: der Kern ihrer Selbstreproduktion.
Nach dem Hinweis „damit die Schrift erfüllet werde“ flohen die Jünger (Matthäus-Passion). Als die Christen die „Unheilsprophetie“, weil mit Jesus erledigt, auf die Juden bezogen haben (eine der Quellen des christlichen Antijudaismus), haben sie nicht bemerkt, daß sie damit die Juden in das Schicksal Jesu so eng eingebunden haben, wie die Heils- und Unheilsprophetie in der Schrift.
Der Stein vorm Grab, den Pilatus auf Wunsch der Hohepriester hat versiegeln und bewachen lassen, und dessentwegen die (von den sieben unreinen Geistern befreite) Maria Magdalena und die andern Frauen am nächsten Morgen sich fragten, wer ihnen den Stein hinwegrücken werde: ist das die Kirche (hat die Kirche das Erbe der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten: m.e.W. der „Juden“ des Johannes-Evangeliums, angetreten)?
Haben die andern Simon-Gestalten (der Kananäer, der Zelot, der Jesus-Bruder, der Vater des Judas Ischariot, der Aussätzige, der von Cyrene, der Magier und Begründer der Simonie, der Gerber und der, der Niger genannt wird) mit dem, den Jesus dann Kephas, Petrus, nannte, etwas zu tun?
Karfreitag, 09.04.93
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