10.7.1994

Kann es sein, daß der Melchisedek der Abraham-Geschichte (der König von Salem) schon den David meinte, und daß die biblischen Genealogien keine Ahnentafeln, sondern symbollogische Konstruktionen sind, die sich aufschlüsseln lassen, wenn man aufhört, die Alters- und Jahreszahlen chronologisch zu addieren? – Vgl. hierzu das „hodie genui te“ und das „Ehe Abraham ward, bin ich“. Das deiktische Element im bestimmten Artikel bindet die Sprache an das Gesetz der richtenden Erkenntnis; deshalb sind Griechisch und Deutsch die Sprachen der Philosophie. Kann es sein, daß das Präfix ha- im Hebräischen, dem dieses deiktische Moment fehlt, ein Namenspartikel ist, jedenfalls die substantivbildende Kraft, die dem bestimmten Artikel in den indogermanischen Sprachen zukommt, noch nicht hat. Aber erinnert dieses ha- nicht ans Lachen (an die Affinität des Namens zum Lachen, auch an die Benennung der Tiere durch Adam, der dann keine Hilfe in ihnen fand)?
Ist nicht die Pflegeversicherung ein Ersatz für die nicht gelungene Aufarbeitung der privaten und öffentlichen Vergangenheit, für die nicht geleistete Erinnerungsarbeit?
Das Für-sich-Sein entwickelt sich aus dem, was eine Sache für uns ist: aus ihrer Zuhandenheit, aus der Instrumentalisierung der Sache. Das Für-sich-Sein ist der Knoten der Selbstinstrumentalisierung. Ist nicht das Für die Dativ-Präposition (die Umkehr des Genitivs: der Besitzer des Hauses, ihm gehört das Haus)? Stehen nicht Nominativ und Akkusativ, und Genitiv und Dativ in einer Umkehrbeziehung, wobei im Neutrum Nominativ und Akkusativ, im Femininum Genitiv und Dativ als reversibel sich erweisen? (Im Hebräischen gibt es kein Neutrum und keinen Dativ. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Neutrumsbildung, dem Dativ, der Bildung impersonaler Sätze und dem Ursprung des Passiv?) Verschwindet nicht schon bei Heidegger der Dativ, und bleiben dann nicht Genitiv und Akkusativ, Zu- und Vorhandenheit, zurück (Grund der Ontologie: Sie ersetzt das „gehören“ und den Dativ durch das „ist“ und den Genitiv, durch das „es gibt“ und durch das Possessivpronomen)? Deshalb hat die Unterscheidung des Genitivus subjektivus und objektivus für Heidegger eine so große Bedeutung (nachdem er den Dativ verschluckt hat). Raum und Deklination: Nominativ und Akkusativ (Ursprung des Neutrums) beziehen sich auf das Verhältnis von vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken), Genitiv und Dativ auf das Verhältnis von Rechts und Links (Gericht und Gnade). Ist die Unterscheidung von vorn und hinten nicht auch der Grund des Weltbegriffs, und die von rechts und links der des Naturbegriffs? Deshalb gehört zur Definition des Naturbegriffs das „von allen Seiten hinter dem Rücken“ (die dritte Leugnung, oder die Mathematisierung der Sprache). Von allen Seiten hinter dem Rücken: das bezeichnet aufs genaueste den Grund der Scham. Die Unterscheidung von oben und unten (dem die von Objekt und Begriff, Natur und Welt, die „vier Himmelsrichtungen“, zugrunde liegen) ist der Grund des Wissens, das durch den Naturbegriff (von allen Seiten hinter dem Rücken, „Schrecken um und um“) „allseitig“ geworden ist. Der Funktion der Tragödie (der Schicksalsidee) für den Ursprung der alten Philosophie entspricht die des Inertialsystems (das Versinken in der Scham) für die neue: Das ist in der kantischen Philosophie, in der transzendentalen Ästhetik, im Konzept der subjektiven Formen der Anschauung, zum erstenmal erkannt (dann aber sogleich wieder vergessen, jedenfalls nicht begriffen) worden. Ist die Frau deshalb aus der Seite Adams genommen, weil sie ihm zur Seite stehen sollte (es fand sich keine Hilfe: alle Tiere waren Verkörperungen des Gerichts)? Entspricht nicht das Männliche der Trennung von vorn und hinten (Grund des Ursprungs des Neutrums), das Weibliche der Trennung von Rechts und Links (Ursprung des Messianischen)? Gibt es ein sprachliches Äquivalent der Feindschaft zwischen der Schlange und dem Weibe (dem Samen der Schlange und ihrem Samen: dem Menschensohn)? Im Buch Jona kommen keine Frauen vor; erst im Buch Tobit wird Sara von der Herrschaft des Dämonen Asmodai befreit (aber zuvor der Fisch gefangen und getötet, und dann Ninive zerstört). Auch die säkularisierte Welt ist ein Derivat des Christentums, wenn man will, eine christliche Konfession: Auch sie wäre zu entkonfessionalisieren. Der letzte Satz im Mt-Evangelium (1820): Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt (heos täs synteleias tou aionos).


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