11.7.1994

Beklemmende Komik der altorientalischen Geschichtsschreibung: Hier ersetzt die martialisch-nationalistische Phantasie, an deren Sprachgestalt sich ablesen läßt, daß es so nicht gewesen sein kann, die kritische Arbeit. Der Stil, der den Schein erweckt, der Historiker beschreibe eine lebendige Gegenwart, gleicht nicht zufällig dem von Theologen, die ihre eigenen Vorurteile als Gottes geheime Pläne ausgeben. Sowas macht man (auch in der atheistischen Theologie, die an die Gegenwart Gottes nicht mehr glaubt) nur mit Toten. Paulus und die „Heidenmission“: die Korrumpierung des Christentums durch den Erfolg. Es würde der Sache sehr nahe kommen, wenn man die Geschichte der Theologie als Geschichte ihrer Abtreibung begreifen würde. Hängt die Tatsache, daß im Hebräischen auch die zweite Person (das Du) geschlechtsbezogen ist, damit zusammen, daß es in ihr kein Neutrum gibt? Ist die zweite Person durch Neutralisierung zur Person (durch ihre Fähigkeit, Eigentum zu haben) geschlechtsneutral geworden; und ist diese Fähigkeit in der Subsumtion des Grund und Bodens (des Ackers) unters Tauschprinzip begründet? Das Arier-Problem läßt sich auf die Grundfrage zurückführen: Wer hat den Vorrang, der Phallus oder die Zunge (das Volk oder die Sprache)? Haben Feuer und Wasser etwas mit Sem und Japhet, mit Hören und Sehen, zu tun? Der Staat ist eine Kapitalmaschine; für ihn ist das Arbeitslosenproblem eine ökonomie-technische Frage: Vorrang hat die Frage der „Konjunktur“, von der die Staatseinkommen abhängen; das Arbeitslosenproblem ist nur ein Mittel der Rationalisierung der Steigerung des Sozialprodukts, von der die Arbeitslosen nichts haben. Aber wird nicht in der Tat das Steuersystem immer mehr zu einem Steuerungssystem, das die Erträge in die richtigen Taschen leiten soll? Und ist nicht dieses Steuersystem im Hinblick auf den Staatsertrag ein Beschleunigungs-, im Hinblick auf die Vollbeschäftigung (auf das „Recht auf Arbeit“) hingegen ein Bremssystem? Dadurch nämlich, daß sie (über die Lohn- und Einkommensteuer) die Arbeitskosten zusätzlich belastet. Wäre eine Infrastruktursteuer denkbar, die die Nutznießer der gesellschaftlichen Vorleistungen direkt an ihren Kosten beteiligt, und wäre sie nicht im Hinblick auf die wirtschaftliche Gesamtrechnung ehrlicher? Ist nicht die Erfindung der Tiefenzeit auch ein Ausbeutungsphänomen, das an der Kapitalstruktur und -funktion des nachfaschistischen Staates, des Staates nach dem faschistischen Modernisierungsschub, nachzuweisen wäre (hat Hegel mit der Kritik der kantischen Dinge an sich nicht die Ursachen der Erscheinungen aus dem Blickfeld gerückt)? Hegels Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, wäre endlich zu verifizieren durch den Versuch der Bestimmung der Struktur des Reichtums (durch Analyse seines mathematischen und seines dynamischen Teils sowie wie der Beziehung beider). Die Eigentumsseite ist seine mathematische, seine ruhende Seite, während die Frage der Entstehung und der Erhaltung des Reichtums, seine dynamische Seite, eine merkwürdige Eigenschaft aufweist: sie ist Teil eines fortschreitend sich beschleunigenden Prozesses der Selbsterhaltung durch Selbstvernichtung: der Erneuerung durch Selbstaufopferung; sie ist ein Teil der fortschreitend sich beschleunigenden Umlaufzeiten des Kapitals (hier liegt das derzeit explosiv sich ausbreitende Tätigkeitsfeld der Banken). Wäre bei der Analyse der inneren Struktur des Reichtums nicht die alte Astrologie (die selber schon eine durch Projektion in den Kosmos sich selbst entfremdete Analyse des Reichtums war) eine wichtige Hilfe (durch die Beziehungen Venus/Reklame, Merkur/Zirkulation, Mars/Konkurrenz, Jupiter/Recht)? Die Propheten haben vom „Tag des Herrn“ gesprochen, Jesus sagte bei seinem ersten Auftreten in Kana: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“. Einer der Quellpunkte der Gemeinheit: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es die List, die Übervorteilung der Dummen nicht geben. Im Kontext der Bekenntnislogik ist die politisch-gesellschaftliche Analyse weniger wichtig als das Feindbild, ohne das es die projektive Schuldverarbeitung, die dem Herrendenken zugrundeliegt, nicht gibt. Im Bann der Bekenntnislogik ist der dialektische Materialismus zur Ideologie geworden; der Antisemitismus ist die selbstreferentiell gewordenene Bekenntnislogik. Die Bekenntnislogik ist das logische Äquivalent des prophetischen Symbols des „Taumelbechers“, der Trunkenheit (und das Herrendenken das logische Äquivalent der Trunkenheit)?


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