6.11.1994

Ende des Bücherschreibens: Kriege haben einen gemeinsamen Ursprung mit der Logik der Schrift; die Logik der Schrift begründet erst die naturhaften Außenbeziehungen der Staaten, die den Kriegen zugrunde liegen. Weist nicht das Ende der Kriege, der Übergang zu Weltbürgerkriegen, Folter und Terrorismus, der im Zweiten Weltkrieg sich ankündigte, aber auch die Hilflosigkeit des Militärs angesichts der neuen Situation, auf eine essentielle Veränderung in der Logik der Schrift?
Hierzu gehört es, wenn heute „Kriege“ zu Medienveranstaltungen geworden sind, und das nicht nur in dem Sinne, daß sie sich vor aller Augen abspielen (bis zur Realsymbolik der allabendlichen Fernsehübertragung der skyline von Tell Aviv im Golfkrieg: die die Zuschauer zu potentiellen Zuschauern ihres eigenen Untergangs machte): Die Medien berichten nicht mehr nur nachträglich von den auch ohne stattfindenden Ereignissen, sondern sie werden selber zu einem Teil ihrer Ursachen; man kann „historische Ereignisse“ heute durch Nutzung der Medien technisch erzeugen. Die Geschichte wird „machbar“ durch Einbeziehung der Realität ins Verfahren der technischen Reproduzierbarkeit (insoweit ist der Benjaminsche Ansatz heute zu radikalisieren: nicht mehr nur die Kunst ist reproduzierbar). Hier wird der Naturbegriff (Grund der Trennung von Theorie und Praxis) gesprengt, der Weltbegriff erneut in die Reflexion hereingezogen.
Die Außenbeziehungen der Staaten (und mit ihnen die Kriege) gehören zu den logischen Voraussetzungen der Astronomie, der Architektur (des Tempelbaus) und des Bergbaus, der Ausbeutung und Verarbeitung insbesondere der metallischen Bodenschätze. Ist nicht der Deus Sabaoth der Gott über den Göttern der Völker, und der zum Hofstaat Gottes gehörige Ankläger die potentielle Übermacht, der König der Könige, der „Fürst dieser Welt“: Babylon?
Wenn nach Levinas die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, hat das dann nicht seinen Grund in der kantischen Tradition des kategorischen Imperativs? Oder umgekehrt: Ist der kategorische Imperativ Kants nicht prophetisches Erbe? Die Ontologie macht die Dinge an sich unerkennbar und diese Unerkennbarkeit zum Absoluten; sie schafft den Grund und den Rahmen einer Welt, in der niemand mehr weiß, was er tut. Der Agnostizismus ist nicht gegen Kant, sondern nur mit ihm aufzulösen: auf der Basis der Ethik als prima philosophia. Die Ontologie ist der Versuch, Gott dort zu erkennen, wo er nicht ist: außerhalb seines Gebotes. Der ontologische Gottesbeweis krankt an der Zweideutigkeit des „größer“ oder „besser“. Das Durchschlagen des gordischen Knotens war eine Prophetie auf die homousia, auf seine Einfügung ins Dogma (auch Konstantin hat den Knoten nur durchschlagen und so seine Lösung nur verhindert).
Gelten nicht die christologischen Bestimmungen, wie die homousia und die Zwei-Naturen-Lehre, wenn man sie im Lichte der Ethik als prima philosophia sieht, von der Prophetie insgesamt? Die Ontologie verkehrt die Ordnungen des Handelns in Rangordnungen; sie gehört zu den Dornen und Disteln.
Hat die Kirche nicht das „und“ geleugnet, indem sie den Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ aufgespalten und den ersten Teil auf die Hierarchie, den zweiten auf die Laien angewandt hat? Aber ist so die Kirche nicht zu dem Tier geworden, das „zwei Hörner (hat) wie ein Lamm und redet wie ein Drache“? Und hat sie vergessen, daß der Heilige Geist in der Gestalt der Taube erscheint?


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