Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Im Recht gibt es Unrechts-Tatbestände, die mit dem Mitteln des Rechts nicht zu beheben sind, vergleichbare Probleme gibt es in der Ökonomie (im Bereich des Geldes) und in der Wissenschaft (im Bereich des Wissens).
Daß das Rechtsstaatsprinzip die Anwendung politischer Prinzipien nicht ausschließt, läßt sich an der unterschiedlichen Behandlung der Nazi-Richter gegenüber den SED-Richtern erkennen. Das, was die Nazi-Richter getan haben, war sicher im Effekt schlimmer als das, was man das Unrecht des SED-Staates nennen muß. Nur: Die Nazi-Justiz war (dank eines eingebauten Rechtfertigungssystems) schlau genug, sich an die formalen Grundsätze des Rechts zu halten, die ihre Taten rechtlich „unbeweisbar“ gemacht haben.
Zum Begriff des Tieres: Sein logischer Kern ist das Prinzip der Selbsterhaltung (dem das „Leben“ aller gesellschaftlichen Institutionen, auch der kirchlichen, sich verdankt); das gegenständliche Korrelat der Selbsterhaltung bezeichnet der Natur- und der Weltbegriff (Tiere haben eine Welt).
Beitrag zur Grammatik: Der Tod Jesu war kein Mord, und das Todesurteil gegen ihn war nicht das Produkt einer Rechtsbeugung. Dafür hat der Tod Jesu Politik und Recht, und mit ihnen den Staat insgesamt, in den Akkusativ versetzt. Und das (mitsamt seinen durchsichtigen weltgeschichtlichen Folgen) war der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen. Hier liegt die Wurzel der Selbstbegründung der subjektiven Formen der Anschauung (des Inertialsystems).
Dieser Akkusativ ist hat den Kreuzestod Tod Jesu selbst verhext: Mit der Vergegenständlichung des Staates (die ein sprach- und vernunftgeschichtlicher Vorgang war) ist der Grund für die Objektivation des Kreuzestodes gelegt worden (für die Opfertheologie, die Vergöttlichung Jesu und die Trinitätslehre, für das Dogma und die Bekenntnislogik, letztendlich für die Konstruktion der Kirche). Hat dieser Akkusativ etwas mit dem Namen des Petrus zu tun, mit dem Felsen, auf den ER seine Kirche bauen wollte?
Das Dogma, die hierarchische Struktur der Kirche und die Konstruktion der sakramentalen „Heils“-Vermittlung waren Instrumente zur Rettung des Grundes und der grammatischen Konstruktion der flektierenden Sprache (zwangshafte Spiegelung und Wiederholung des Turmbaus zu Babel).
Ist die Person nicht wirklich Eigentum des Staates und der Personbegriff in sich selber politisch (herrschaftsgeschichtlich) vermittelt? Der Instinkt der Rechten heute steht unter dem Gesetz dieser Zwangslogik: Ausländer sind Unpersonen, haben kein Existenzrecht.
Ist nicht jede Berufung auf die „Tatsachen“ hoffnungslos (und ist das nicht ein gelegentlich erwünschter Effekt: den andern die Hoffnungen auszutreiben)? Genauer: sie ist kleingäubig, hoffnungslos und unbarmherzig.
Der Satz über Rind und Esel bei Jesaias ist ein Hinweis auf den Mechanismus, dem es sich verdankt, daß der Komfort-Zug, in dem wir sitzen, den Abgrund, auf den er zurast, selbst erzeugt.
Der Marxsche Satz, es käme darauf an, die Hegelssche Philosophie vom Kopf auf die Füße zu stellen, hat etwas mit dem Begriff der Umkehr zu tun.
Unvorstellbar, heute noch Mitglied einer politischen Partei zu werden. Wenn überhaupt, dürfte es in keinem Falle um die „Identifikation“ mit einer Partei (mit ihren Zielen) gehen, sondern um die Frage, ob die Mitgliedschaft die Möglichkeit eines ändernden Eingriffs bietet. Diese Möglichkeit wäre in einer rechten Partei grundsätzlich ausgeschlossen, in der SPD (aber auch in einer anderen „linken“ Partei) aufgrund ihrer Organisationsstruktur und ihres Selbstverständnisses fast unmöglich, in der FDP durch ihren – wie es scheint – irreversiblen Trend zum Neoliberalismus real unmöglich. Die Grünen sind durch ihren ökologischen Konkretismus zu harmlos, im Kern unpolitisch. Bleibt etwa nur die irrsinnige Möglichkeit in einer CDU, die durch ihre eigene Umkehr zum Ferment einer Änderung der Gesellschaft werden könnte? Ist es nicht vielleicht die logische Konsequenz aus der vertrackten Situation, in der die SPD von innen, die CDU hingegen von außen nicht mehr zu erreichen ist?
Lassen sich beiden theologischen Konstrukte, daß
– Gott die Welt erschaffen und
– Jesus durch sein Leiden und seinen Tod die Welt entsühnt hat,
noch durch eine andere Logik als als die der Selbstbegründung und Selbstrechtfertigung der Bekenntnislogik (als Stützen eines Verdrängungssystems) zusammendenken? Die theologische Rezeption des Weltbegriffs hat außer dem des Opfers der Vernunft und der Selbstverfluchung keinen Ausweg mehr gelassen.
12.12.1994
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