21.1.1995

Zum projektiven Denken: Der Grund der Finsternis liegt in der Vergangenheit; die Verfinsterung der Dinge gründet in ihrer Subsumtion unter die Vergangenheit. Das Licht, das die Vergangenheit wirklich erhellen würde, wäre das im Buch des Lebens noch verschlossene Licht. Dieses Buch wird lesbar, wenn „der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt“.
Zur Logik der Schrift: Das Buch ist das Grab des Autors. Gründet die Idee der Auferstehung nicht darin, daß auch die der Logik der Schrift unterworfene Sprache nicht endgültig tot ist, daß sie wieder zum Leben erweckt werden kann?
Verweisen die Totenerweckungen in der Schrift nicht alle auf die Beziehung der Logik der Schrift zur Erfüllung des Wortes? (Welche Erweckungsgeschichten gibt es: die vom Jüngling zu Nain, von der Tochter des Jairus und vom Lazarus?) Kann es sein, daß die Schrift (oder das Dogma?) am Ende als das leere Grab sich erweist (es war das Grab des Joseph von Arimathaea, „der ein Jünger Jesu war – freilich im geheimen, aus Furcht vor den Juden“ – Joh 1938)? Wird nicht erst in diesem Zusammenhang deutlich, was es mit dem Logos auf sich hat?
Wie verhalten sich Ereignis und Geschehen zueinander? Das eine ist reflexiv, das andere objektiv (es ereignete sich, es geschah). Gibt es eine sprachliche Beziehung des Ereignisses zum Eigenen, zum Eigentum, zur Eigentlichkeit?
Adornos Bemerkung, daß das Selbst in theologischem Zusammenhang gründet, wäre zu korrigieren: Wie der Begriff des Absoluten, zu dem es gehört, fällt es in die Ursprungsgeschichte des Staates (zusammen mit dem Eigentumsbegriff). Es gründet im Kontext der Ästhetik (vgl. Rosenzweigs Bemerkung über die Beziehung des Selbst zum Kunstwerk). Das Selbst ist ein Reflex der subjektiven Formen der Anschauung; deshalb scheinen sich diese der Reflexion zu entziehen (und deshalb mußte Hegel die Antinomien der reinen Vernunft, die Kant auf die transzendentale Ästhetik bezogen hatte, aus dieser herausnehmen und in Logik transponieren, was nur mit Hilfe des Konzepts der List der Vernunft möglich war; so wurde das Gesetz der Erscheinungen zum Begriff des Scheins).
Konstruktion der Ästhetik: Das Selbst ist der Reflex einer Erfahrung, in der einer sich als anderer für andere erfährt: Es gehört in den Kontext der Geschichte der Scham.
In der Jotam-Fabel kommen neben dem Dornenstrauch, der zum König wird, der Feigenbaum, der Weinstock und der Ölbaum vor.
Sind nicht die Bäume und Sträucher, unter denen Adam, als er erkannte, daß er nackt war, sich verbarg, die Ahnen der Bäume der Jotam-Fabel? – Nathanael stand unterm Feigenbaum, als Jesus ihn als „wahren Israeliten, ohne Falsch und Tadel“ erkannte.
Ist nicht das Inertialsystem der Dornenstrauch, und das durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierte Inertialsystem der „brennende Dornbusch“?
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Löst dieser Satz nicht das Rätsel des Absoluten? Ist das Absolute (der Schatten, den das Selbst auf Gott wirft) nicht die Grube, die wir andern graben, und in die wir dann selber hineinfallen? Hier erweist es sich, daß das Absolute die Reflexionsgestalt des Raumes ist. Hat die Grube nicht etwas mit dem Kelch und mit dem Richten zu tun? Nur das Gebot der Feindesliebe schützt vor dieser „Grube“.
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Diesen Effekt der List der Vernunft hat Hegel nicht begriffen.
Ist nicht die Natur die Grube, in die wir die Schöpfung gestürzt haben? Und ist der Satz von der Grube nicht auch auf die Kirche zu beziehen, wogegen allein das Wort steht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden (die Grube, die die Kirche den andern gegraben hat, war die Höllenvorstellung: das Äquivalent der Gottesfurcht im Schuldverschubsystem des Weltbegriffs, des Herrendenkens; sie ist ohne die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral, durch die sie dann nur noch auf andere sich bezieht – und auf den Urteilenden selbst nur insoweit, als er selbst als anderer für andere sich erfährt -, nicht zu denken: Unzucht ist der apokalyptische Name für den richtenden Gebrauch der Sexualmoral).
Die subjektiven Formen der Anschauung (die transzendentale Ästhetik) sind der Inbegriff der Grube, die wir andern graben, und in die wir selber hineinfallen.
Die Logik der Schrift abstrahiert von der dialogischen Struktur der Sprache (vom Hören), das Inertialsystem (das in den subjektiven Formen der Anschauung gründet) vom Licht, vom Gesehenwerden, vom Angesicht. Zur Logik der Schrift gehört als Projektionsfolie der Begriff des Barbaren, zum Inertialsystem der des Wilden (das Antlitz des Hundes).


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