Das griechische Wort für Religion „threskeie“ wurde ursprünglich nur auf fremde Religionen angewandt, erst seit Augustus „bezeichnet das Wort … jeden Kult, ob er nun einheimisch oder fremd ist“ (Benveniste, S. 506). War nicht die persische (achämenidische) Praxis, fremde Kulte nicht nur anzuerkennen, sondern zu restituieren und zu fördern (vgl. Esra und Nehemia), ein Vorläufer des römischen Pantheon, und verweisen nicht beide auf den Beginn einer Emanzipation der imperialistischen Politik von der Religion und Instrumentalisierung der Religion, die dadurch erst zu einem gesellschaftlichen Sonderbereich (und zu einem Spiegel der Herrschaftsgeschichte) geworden ist: Seitdem ist jede Religion eine fremde Religion, eine Religion, die in sich selbst den Widerstreit zwischen Tradition und „Bekehrung“ (zwischen der Fremdheit des Vergangenen und der der anderen Religionen) austragen muß. Seitdem ist die Klärung ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte eines der ungelösten Probleme der Religion. Das Christentum hat mit dem Theologumenon der „Entsühnung der Welt“ dieses Problem nur vertagt, nicht gelöst.
Die Ableitung, die Laktanz und Tertullian dem Begriff der religio geben, wenn sie es auf ligare (statt richtig auf legere) zurückführen (Benveniste, S. 507), mag etymologisch falsch sein (es müßte dann religatio, nicht religio, heißen), logisch bezeichnet sie genau den Schritt, den das Christentum über das Religionsverständnis im Römischen Reich hinaus macht: die Wendung der Skrupel, der Bedenken, die die Menschen von bestimmten Handlungen zurückhält, ins Affirmative: in die „Rückbindung“ an einen Gott, der seinen eigenen Sohn opfert, um eine Welt zu „entsühnen“, die im imperialen Rom (und in den seine Strukturen nicht aufhebenden, sondern fortentwickelnden Nachfolge-Reichen) unerlöst bleibt. Eine Religion, deren Hauptaufgabe (ohne daß sie es selbst bemerkt hätte) die Rechtfertigung des Bestehenden (und nach der Vergesellschaftung der Herrschaft in der Gestalt des verweltlichen Subjekts die Rechtfertigung eben dieses Subjekts) geworden ist, wird zwangsläufig zu einem Institut der „Rückbindung“, der Verstrickung ins System: zur Leugnung der Freiheit, die sie in ihrem Ursprung verkörperte. Index dieser Geschichte sind der Ursprung und die Geschichte des Weltbegriffs, dessen theologische Rezeption die Selbstblendung der Religion zur Folge hatte.
Hat sich nicht schon in Hegels Bemerkung, daß die Natur den Begriff nicht halten kann (was anhand der Existenz verschiedener Tierarten beweist), das Scheitern der Reichsidee angekündigt? Bezeichnet diese Bemerkung nicht genau die Verblendung im Kern der preußischen Reichsidee? Endet nicht Hegels Astronomie in der Planetentheorie; der Fixsternhimmel bleibt außerhalb seiner Philosophie, weil er außerhalb des Bereichs der List der Vernunft bleibt?
Ist nicht der Tierkreis das Realsymbol der äußeren Beziehungen der Staaten untereinander, während das Planetensystem auf die Innenstruktur der Staaten sich bezieht? Haben der Orion und die Plejaden etwas mit Gog und Magog (oder mit den beiden apokalyptischen Tieren, mit dem Tier aus dem Meer und dem Tier vom Lande) zu tun, mit der Beziehung von Politik und Religion?
Heideggers Philosophie leugnet den Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden.
In der Form, in der Habermas Adornos Satz vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“ zitiert, steckt der ganze Habermassche Wissenschaftsfundamentalismus, der im übrigen ein Stück linker Tradition war und einer der Gründe für das Scheitern des real existierenden Sozialismus gewesen ist.
7.2.1995
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