Gemeinheit ist ein projektives Verhalten; sie gehört zu den (Ab-) Gründen des Wissens.
Das „Liebet eure Feinde“ ist ebensosehr ein ethisches wie ein erkenntniskritisches Gebot.
Die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte hängt damit zusammen, daß Geschichte nur für uns: gewußte Geschichte ist (und daß die Objektivierung die Geschichte wie das Inertialsystem die Natur verändert); mit der Taufe der Vergangenheit, mit ihrer Konstituierung durchs Wissen wird sie gleichsam überdeterminiert. In dieser Überdeterminierung gründet das kontrafaktische Urteil, das vergebliche Wenn-Dann. Durch ihre Objektivation wird die Geschichte aus dem Kontext herausgelöst, in dem ihre Beziehung zur Wahrheit gründet: ihr prophetisches Verhältnis zur Gegenwart, zur Aktualität.
Genesis: Durch den prophetischen Erkenntnisbegriff wird der Anfang ins Allernächste gerückt.
Kelle: Steht nicht unser Schöpfungsbegriff unter dem Apriori des Kelchs (des Bechers, der Schüssel, des Topfs)?
Die Gravitation steht im Zeichen der Gewalt des Unteren über das Obere (oder des Abimelech), die Optik und die Elektrodynamik (das objektivierte Licht) im Zeichen der Gewalt der Linken über die Rechte (der linkshändigen Benjaminiten). In der Mechanik gewinnt das von Hinten Gewalt über das Vorne. Nur durchs Inertialsystem bezieht sich jedes Moment auf das Ganze, das es nicht gibt.
Sind nicht die göttlichen Verheißungen allesamt Gebote, und erst im Tun erfüllen sie sich als Verheißungen?
Die Grammatik ist die Logik der Sprache; in ihr ist die Vergangenheit präsent, die so lange Macht über uns haben wird, wie wir vergessen, sie zu reflektieren. Es müßte eigentlich möglich sein, den Begriff der Barbaren aus der Logik der griechischen Sprache, aus ihrer Grammatik, abzuleiten: Im Zentrum stünde hierbei das Problem des Neutrum. Nicht zufällig gehört zu den Konnotationen des Begriffs der Barbaren der Stammelnde.
„Mein ist dein, und dein ist dein“ (Scholem, Hauptströmungen, S. 101): Ist das nicht eine Erläuterung des Namens der Barmherzigkeit (der im Namen der Gebärmutter wurzelt), und wirft es nicht zugleich ein Licht auf das Wort „hysterische Panikmache“? Löst nicht die Idee der Barmherzigkeit unterm Bann der Selbsterhaltung in der Tat panische Existenzängste aus?
Der philosophische Existenzbegriff notiert und suggeriert, daß es zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr gibt, daß die ihm korrespondierende Welt eine Wolfswelt ist, und daß man dann, wenn schon nicht ein edler, so doch ein geadelter Wolf sein möchte (darauf verweist der Begriff der Eigentlichkeit, der dem Existenzbegriff Patina verleiht).
Eigentlichkeit: Man möchte vom Gott geliebt sein, aber von dem in dieser Liebe sich manifestierenden Gebot sich zugleich dispensiert wissen.
Durch die Logik, die der Religion im Säkularisationsprozeß zugewachsen ist, durch die Bekenntnislogik, ist die Religion zu einem Herrschaftsmittel geworden, ist sie von innen blasphemisiert worden.
Die urzeitliche Katastrophe, von der der Dialektik der Aufklärung zufolge die Tiere zeugen, ergreift heute die Menschheit: Darauf beziehen sich das apokalyptische Bild des Tieres und sein Gegenbild, das des Menschensohns. Hat nicht der Ursprung des Weltbegriffs (im Kontext der Geschichte des Ursprungs des Staates und der Philosophie) mit jener urzeitlichen Katastrophe zu tun?
Auf die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die den Begriff konstituiert, antwortet die Theologie mit der Errettung der vergangenen Hoffnung, die an den Namen sich heftet.
(Der deutsche Adler hat sich geteilt in die Bundestagshenne und den Ämtergeier.)
13.2.1995
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