Das Elend der Kommunikationstheorie (und der Linguistik) ist ihre Unfähigkeit, die erkennende und benennende Kraft der Sprache zu reflektieren. Das Nomen ist zum Substantiv geworden, und die Kommunikationstheorie zur Rache des Begriffs an der Sprache. Aber ist das nicht die logische Konsequenz daraus, daß in beiden die sprachlogische Struktur und Funktion der Grammatik vergessen wurde? Beide sind durchs Neutrum geblendet. Man könnte auch sagen: Die Kommunikationstheorie steht unter dem Bann der (Mono-)Logik der Schrift: Sie verwechselt die Welt im Kopf des Theoretikers mit der Welt.
Auschwitz ist ebenso unvergleichbar wie in der Sprache der Name unvergleichbar ist. Das schließt nicht aus, daß es andere Namen und daß es Metastasen von Auschwitz gibt.
Dem Ausdruck „gequälte Natur“, mit dem Habermas das Adornosche „Eingedenken der Natur im Subjekt“ glaubte berichtigen zu müssen, ist die Neutralisierung der Natur im Habermasschen Philosophiekonzept vorausgegangen.
Und sie erkannten, daß sie nackt waren: Wodurch unterscheidet sich der Rock aus Fellen von den Feigenblättern? Ist das Feigenblatt nicht der Anfang der verandernden Kraft, aus der der Weltbegriff erwachsen ist?
Die phonetische Aufschlüsselung der Buchstabenschrift im Hebräischen scheint auf die griechische und lateinische und auf die nachfolgenden europäischen Sprachen nicht anwendbar zu sein. Kann es sein, daß es prophylaktische Gründe sind, die die Anwendung verhindern, weil die Ergebnisse erschreckend wären? Hat das Neutrum die Sprache ihrem phonetischen Ursprung entfremdet hat? Und hat die Spiegelung am Neutrum auch die Etymologie tangiert und verfremdet? Die Logik der Schrift hat ihre verandernde, neutralisierende Kraft bis in diese Sprachschicht entfaltet (mit dem Ich als Statthalter des Neutrum im Subjekt)?
Sind die Differenzen zwischen den verschiedenen Gestalten der Mystik in den drei „Welt“-Religionen (Kabbala, christliche Mystik, Sufismus) sprachgeschichtlicher Natur? Das hic et nunc (grammatisch das Präsens) ist der (dem Neutrum und dem Ich korrespondierende) Reflexions- und Spiegelungspunkt, an dem Prophetie und Philosophie sowohl sich scheiden als auch auf einander sich beziehen. Diese Scheidung vollendet sich in den „subjektiven Formen der Anschauung“, den Reflexionsformen und Stabilisatoren des „intentionalen Akts“, der umkehrlosen Erkenntnis (des Wissens).
Die indoeuropäischen Sprachen haben das hic et nunc zum überzeitlichen Präsens gemacht.
Wie hängt die mittelalterliche Eucharistie-Verehrung (und die „Monstranz“) mit dem Stellenwert und der Konstruktion der bestimmten Artikel im Deutschen, mit der Verknüpfung des vom Nomen abgelösten Demonstrativum mit den Formen der Deklination, zusammen? Ist nicht in der Konstruktion des bestimmten Artikels im Deutschen, in dem „der da“, die Selektion, die Hybris der Säkularisation des Jüngsten Gerichts (des Hegelschen „Weltgerichts“) in Auschwitz, vorgebildet?
Der Faschismus war eine Knechtsrevolte: der Aufstand Kanaans.
Schuldgefühle nach Auschwitz hatten die Überlebenden aus dem Volk der Opfer, nicht die Täter; zur Infamie dieses Ereignisses gehörte es, daß es den Tätern und ihren Angehörigen die Möglichkeit offenhielt, durch Flucht in die Rolle des Zuschauers sich vor sich selbst freizusprechen, in die Opfern aber den Stachel des Bewußtseins einpflanzte, Komplizen des Verbrechens geworden zu sein.
Die Gottesfurcht ist die Furcht vor einem Gericht, in dem die Opfer unseres Handelns und unserer Versäumnisse gegen uns als Richter sich erweisen werden. So hängt die Gottesfurcht mit der Idee des Jüngsten Gerichts zusammen.
Mein Joch ist sanft und meine Last leicht: Würde auch nur einer noch diesem Satz glauben, würde er die ganze Theologie verändern.
Zum Problem des Gebets (zur Theologie als Gebet) vgl. Mk 1125.
Läßt sich das Problem der Dialektik an dem Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ demonstrieren? Dieser Satz ist nicht objektivierbar, er läßt sich nicht verallgemeinern. Nur das Opfer kann ihn sprechen; kein Täter darf ihn von seinem Opfer fordern. Was im Munde des Opfers das Humanste wäre, wird im Mund des Täters zur Waffe, die ihn ein zweites Mal erschlägt. Darauf bezieht sich das Prophetenwort vom Rind und Esel. Gründet nicht der Bann, der auf der christlichen Theologie lastet, darin, daß sie Last und Joch identifiziert?
Das Lamm, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, ist das Lamm, das für die Auslösung der Erstgeburt des Esels eintritt.
Das göttliche Gebot ist eine (befreiende) Last für mich, kein (verknechtendes) Joch für andere. Dazu wird es im Kontext des Urteils, dessen Kritik in dieser Konstellation gründet.
Hängt nicht die Urteilsform mit der Ursprungsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen, mit dem Ursprung des Neutrum, der Struktur des Wissens, der Philosophie und des Natur- und Weltbegriffs, zusammen? Die Urteilsform. die über die subjektiven Formen der Anschauung (und in Wechselwirkung damit über die Geldwirtschaft und die Bekenntnislogik) in der Objektivität sich verankert, macht das befreiende Gebot zum verknechtenden Gesetz.
Die Bekenntnislogik, die die Neutralisierung der erkennenden Kraft der Sprache, ihre kommunikationstheoretische Denaturierung, voraussetzt, ist die geschichtliche Gestalt der dritten Leugnung.
21.2.1995
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