16.3.1995

Abgeschlossen und vollendet („perfekt“) ist im Indogermanischen nur die Vergangenheit. Das ist der Grund des Neutrum, der indogermanischen Formen der Konjugation, die an den Zeitablauf sich anlehnen, und nur so, nicht mehr unmittelbar, aufs Handeln sich beziehen, und der Steigerungsformen der Adjektive. Hier entspringt das Verdinglichungsgesetz, das dann als Inertialsystem von der Sprache sich ablöst, sie als „leeres, gereinigtes und geschmücktes Haus“ (als Ort der sieben unreinen Geister) zurückläßt.
Die Wirkung dieses Verdinglichungsgesetzes hängt mit der Funktion und Bedeutung des Begriffs Sühne zusammen. Die Bemerkung eines (amerikanischen) Zeugen im Prozeß gegen Birgit Hogefeld (am 14.03.95), er habe mit seiner (offensichtlich falschen) Aussage „der Regierung und dem Recht“ einen Dienst erweisen wollen, verweist auf eine Logik, in deren Kern ein Begriff der Sühne steht, der fürs Strafrecht insgesamt grundlegend ist (und das Strafrecht mit der Logik des Objektivationsprozesses, mit der er durch den Begriff des Urteils verknüpft ist, verbindet). Dieser Logik liegt die Vorstellung einer gleichsam reinigenden Kraft der Sühne zugrunde. Hiernach hat die Sühne (und auf ihrem Grunde das Strafrecht) eine hygienische Funktion für den Gesellschaftskörper (Element einer Logik, zu deren wahnhaften Konsequenzen der Antisemitismus gehört, der u.a. dazu diente, die Sühne-Logik des Strafrechts gegen jede Anfechtung durch Empathie, durch Identifikation mit dem Angeklagten, abzuschirmen und zu stützen).
Die Sühne-Logik konstituiert das Kausalprinzip in der sittlichen Welt (im Rahmen dieser Logik ist der Antisemitismus die Atomphysik des zugehörigen Welt- und Gesellschaftsbildes, zu dem u.a. auch der Begriff des Volkes gehört, der die Gesellschaft als Schicksalsgemeinschaft definiert, deren mythischer Kern in der Sühne-Logik gründet). Die Sühne-Logik ist eine völkische Logik.
Das „Entsühnungs“-Konzept (die Entsühnung der Welt durch den Kreuzestod Jesu, Grund der Opfertheologie) hat den historischen Säkularisationsprozeß in der Theologie eröffnet; es ist u.a. eine Voraussetzung des Begriffs der Materie. Und es ist dieses Konzept, das dem Schein eine wesenskonstituierende Funktion gibt, und zu dessen eigenen Konstituentien die Hegelsche „List der Vernunft“ gehört (vg. Hegels Logik). Aber dieses Konzept zerstört zugleich – zwar schon in ihrer theologischen Fassung, in der mit ihr verbundenen Gottesvorstellung – die Idee der Barmherzigkeit in der Wurzel.
Die Sühnelogik ist die Logik des Schuldverschubsystems, die auch die Bekenntnislogik mit ihren speziellen (Feigenblatt-)Effekten begründet.


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